In dem reach.out Workshop geht es um sexuelle Gesundheit.

Bayern (reach.out+):
Raum für Zusammenhalt

Wie geht es geflüchteten Frauen aus Afghanistan in deutschen Geflüchtetenunterkünften? Ein Besuch bei unserem reach.out-Projekt im sogenannten Ankerzentrum Fürstenfeldbruck gibt einen Einblick in ihre Lebenswelt und zeigt, wie Ärzte der Welt sie unterstützt.

Eben noch ziehen Felder am Auto des Ärzte der Welt-Teams vorbei, dann biegt die Straße um die Ecke und ein hoher Zaun erstreckt sich auf der linken Straßenseite. Entlang des Zauns laufen Kinder, Männer, Frauen unterschiedlichen Alters und verschiedener Herkunftsländer.

Am Eingang wartet ein Sicherheitsmitarbeiter. Er kontrolliert Pässe und Ausweise mit routiniertem Blick. „Alles in Ordnung“, sagt er und öffnet das Tor. Im Inneren des Geländes erstrecken sich alte Gebäude einer ehemaligen Bundeswehrkaserne. Obwohl es ein sonniger Herbsttag ist, ist es auf dem Hof ruhig. Kaum jemand treibt sich auf den Grünstreifen oder den übrigen freien Flächen herum. Wie es wohl den Frauen geht, die hier seit Monaten leben?

Darüber können Michelle Kerndl-Özcan und Lea Dannert einiges berichten. Die Mitarbeiterinnen des Projekts reach.out plus geben heute einen Workshop zu sexueller Gesundheit. Seit sechs Jahren unterstützt Ärzte der Welt Asylbewerber*innen mit Informationen zu Gesundheitsversorgung, Sozialberatung und Workshops. Viele Frauen vertrauen den Mitarbeiterinnen ihre oft traumatischen Erfahrungen und alltäglichen Sorgen an.

Individuelle Beratung

An diesem Dienstag haben sich bereits vier Frauen für Beratungsgespräche angemeldet. Die erste Klientin Halima Ahmandi (Name geändert) berichtet von psychischen Problemen. Sie muss den Tod von einem Familienmitglied noch verarbeiten. In der Unterkunft kann sie nicht zur Ruhe kommen. Dort ist es laut, Halima ist ständig überreizt, hat keine Kinderbetreuung und kann sich nicht zurückziehen. Sie würde gerne mit einer Psychologin sprechen. Die nächste Klientin Sarah Rahimi (Name geändert) benötigt Hilfe bei der Übersetzung ihres Hepatitis-B-Untersuchungsbefundes. Der Arzt hatte ihr nur den Zettel mit der medizinischen Auswertung ohne Übersetzung gegeben. Damit kann sie wenig anfangen.

Michelle Kerndl-Özcan gibt einen Workshop zum Thema sexueller Gesundheit.
© Ärzte der Welt.

Nasreen Amiri (Name geändert) hat vor dem Workshop noch ein wenig Zeit und erzählt von ihrem Leben: „Ich bin jetzt schon seit eineinhalb Jahren in Deutschland. Die Lage in den Camps ist schwierig und zurzeit geht es mir schlecht.“ Ihr Mann leide unter Epilepsie und depressiven Verstimmungen, erzählt Nasreen.

„Ich habe das alles für meine Kinder gemacht, sie sollen es mal besser haben. Als Frau hast du in Afghanistan keine Rechte.“

Zum Einstieg gab es eine gemeinsame Yogaübung. Für einen kurzen Moment nur mal den eigenen Körper spüren – Sorgen um Kinder, kranke Ehemänner und ein neues Leben in einem fremden Land, können die Frauen die nächsten zwei Stunden beiseiteschieben.

Während des Workshops sitzen die Frauen in einem Stuhlkreis. Ihre Kinder werden vom Ärzte der Welt Team betreut und spielen im Nebenraum, während die Kursleiterinnen Lea Dannert und Michelle Kerndl-Özcan von weiblicher Sexualität und Gesundheit rund um Sexualität, Schwangerschaft und Geburt erzählen. Immer wieder kichern die Teilnehmerinnen und tauschen verstohlene Blicke mit ihren Sitznachbarinnen. So offen über Sexualität zu reden, scheint für sie ungewohnt. Im Workshop geht es gerade darum, dass sich die Klitoris über der Vaginalöffnung befindet, sich dort die meisten Nervenzellen befinden und sie deshalb für die weibliche Lust eine zentrale Rolle spielt. Als Michelle Kerndl-Özcan von verschiedenen Verhütungsmitteln berichtet, meldet sich Sima Muhammad (Name geändert). Sie hat sich eine Hormonspirale einsetzen lassen, leidet seitdem unter Kopfschmerzen. Sima fragt, ob es möglich ist sich die Spirale entfernen zu lassen. Projektleiterin Michelle Kindl-Özcan vereinbart einen Beratungstermin für sie.

Teilnehmerin Nasreen Amiri hat von dem Workshop profitiert:

„Während des Workshops kann ich auf andere Gedanken kommen und Neues lernen. Beim heutigen Workshop habe ich unter anderem gelernt, dass es Gewalt gegen Frauen gibt und das in Deutschland verboten ist.“

Viele Sorgen bleiben


Aber nicht alle Sorgen können die Ärzte der Welt-Kolleginnen den Teilnehmerinnen nehmen: „Ich wünsche mir nichts mehr, als dass der Asylantrag meines Sohnes angenommen wird. Ich kann nicht mehr schlafen und habe Bluthochdruck“, sagt Marwa Abdullah (Name geändert) und ihre Augen füllen sich mit Tränen. Sie erzählt, dass sie von Afghanistan nach Griechenland geflohen sei und dann weiter über das Mittelmeer. Ihre Stimme beginnt zu zittern. Sie habe die gefährliche Überfahrt fünf Mal probiert, bis es endlich klappte. Als Projektreferentin Lea Dannert von Marwa Abdullahs Erlebnissen und ihren damit einhergehenden Belastungen mitbekommt, bietet sie ihr an, einen Termin bei einer Psychologin zu vereinbaren, was Marwa Abdullah dankend annimmt.

Als das Ärzte der Welt Team am Abend die Unterkunft verlässt ist es bereits so dunkel, dass die umliegenden Felder nicht mehr zu sehen sind. Nicht alle Probleme der Frauen haben sich gelöst. Aber Workshops bieten einen sicheren Raum, in dem sie sich gegenseitig bestärken und Hoffnung schöpfen können.

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