Berlin: Eine Frau wird in einer Sprechstunde von open.med beraten. Ärzte der Welt leistet medizinische Hilfe in Deutschland. © Max Avdeev

Den Zugang zum Gesundheitssystem für Asylsuchende verbessern

Vorschläge für eine Überarbeitung des Asylbewerberleistungsgesetzes.

Ärzte der Welt, Juli 2022

1. Einschränkungen im Leistungsanspruch abschaffen

Aktuelle Situation: Nach §4 haben Asylsuchende in den ersten 18 Monaten nur Anspruch auf Kostenübernahme für medizinische Leistungen bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen, sowie bei Schwangerschaft und Geburt. Darüberhinausgehende Leistungen, z.B. für chronische Erkrankungen, werden nach § 6 AsylBLG nur nach individuellen, oft sehr langwierigen Einzelfallentscheidungen gewährt, die nicht selten von nicht-medizinischem Personal getroffen werden.

Die Einschränkungen führen häufig zu einer medizinischen Unter- und Fehlversorgung. Sie widersprechen der menschenrechtlichen Verpflichtung Deutschlands, einen diskriminierungsfreien Zugang zu medizinischer Versorgung sicherzustellen: Der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte hat Deutschland in seinen abschließenden Bemerkungen zum Staatenbericht 2018 eindringlich aufgefordert, die Einschränkungen im Asylbewerberleistungsgesetz abzuschaffen (Abschließende Bemerkungen, Absatz 58 und 59). Darüber hinaus führen die Einschränkungen zu höheren Kosten, da z.B. präventive Maßnahmen nicht abgedeckt sind.

Änderungsbedarf: Die Einschränkungen im Leistungsanspruch nach § 4 und 6 AsylBLG sollten gestrichen werden, damit alle Geflüchteten von Beginn ihres Aufenthalts in Deutschland Zugang zu einer Gesundheitsversorgung auf dem Niveau des GKV-Leistungskatalogs erhalten. Dieser ist nach § 12 SGB V bereits so definiert, dass die gewährten Leistungen das „Maß des Notwendigen“ nicht überschreiten dürfen.

2.Elektronische Gesundheitskarte für alle Geflüchteten bundesweit einführen

Aktuelle Situation: Bevor Geflüchtete ambulante medizinische Versorgung in Anspruch nehmen können, müssen sie in vielen Ländern und Kommunen beim Sozialamt einen Behandlungsschein beantragen. Dies ist ein erheblicher Ressourcen- und Zeitaufwand für Betroffene, Arztpraxen und die Behörden, der häufig zur Verzögerung notwendiger Behandlung führt.

In sechs Bundesländern erhalten Geflüchtete bereits eine elektronische Gesundheitskarte (eGK). Auswertungen zeigen, dass die Einführung der eGK den bürokratischen Aufwand und die Kosten reduziert hat und zu einer bedarfsgerechteren Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen Den Zugang zu Gesundheitsversorgung für Asylsuchende verbessern: Vorschläge für eine Überarbeitung des Asylbewerberleistungsgesetzes führt.[2]

Auch der Deutsche Ärztetag hat sich im Mai 2022 für eine rasche flächendeckende Einführung der elektronischen Gesundheitskarte für alle Geflüchteten ausgesprochen.

Änderungsbedarf: Im AsylBLG sollte ein bundesgesetzlicher Rahmen für die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte für Asylsuchende mit einheitlichem Leistungsumfang und Verwaltungskostenpauschalen geschaffen werden.

3. Übergangsbescheinigungen für eine lückenlose Versorgung

Aktuelle Situation: Zwischen der Einreise einerseits und der Aus- und Zustellung der elektronischen Gesundheitskarte andererseits vergeht viel Zeit, in der kein Leistungsanspruch geltend gemacht werden kann. Aktuell kommt es z.B. in Berlin in einigen Bezirken zu Wartezeiten von bis zu vier Monaten, bis eine Versicherungskarte vorliegt. Die betroffenen Personen sind in der Zwischenzeit unterversorgt. Dies ist insbesondere für schwangere, chronisch kranke und auf Medikamente angewiesene Patient*innen äußerst problematisch.

Änderungsbedarf: Gesetzlich sollte eine Übergangsbescheinigung vorgesehen werden, mit der Asylsuchende Zugang zu Gesundheitsversorgung erhalten, bis sie eine elektronische Gesundheitskarte haben.

4. Anspruch auf Sprachmittlung gesetzlich verankern

Aktuelle Situation: Die sprachliche Verständigung ist für eine bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung unerlässlich. Derzeit können Kosten für eine professionelle Sprachmittlung im Rahmen der sonstigen Leistungen nach § 6 AsylbLG übernommen werden. Diese müssen jedoch gesondert beantragt werden und sind damit wieder mit Verwaltungs-, Prüf- und Entscheidungsaufwand für die Behörden sowie Wartezeiten und bürokratischen Hürden für Geflüchtete verbunden.

Änderungsbedarf: Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag bereits vereinbart, einen gesetzlichen Anspruch auf Sprachmittlung in der Gesundheitsversorgung als Leistung im SGB V zu verankern. Dieses Vorhaben sollte schnellstmöglich umgesetzt werden. Darüber hinaus muss sichergestellt werden, dass ein gesetzlicher Anspruch auf Sprachmittlung auch für Asylsuchende besteht.

Um aktuellen Engpässen und Kapazitätsmängeln zu begegnen und den tatsächlichen Zugang zu medizinischen und psychosozialen Versorgungsangeboten zu gewährleisten, muss über die gesetzlichen Regelungen im Asylbewerberleistungsgesetz hinaus auch das Angebot (fach-)ärztlicher und psychosozialer Versorgung (z. B. in psychosoziale Zentren) und die Verfügbarkeit professioneller Sprachmittlung sichergestellt werden.[3]


[1] Bozorgmehr, Kayvan, and Oliver Razum. „Effect of restricting access to health care on health expenditures among asylum-seekers and refugees: a quasi-experimental study in Germany, 1994–2013.“ PloS one 10.7 (2015): e0131483, https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0131483

[2] Gold et al. (2021): Die elektronische Gesundheitskarte für Asylsuchende. Zusammenfassung der wissenschaftlichen Evidenz. Policy Brief. Sektion Health Equity Studies & Migration (Hrsg. Universitätsklinikum Heidelberg. URL: PolicyBrief_eGK_Gold,etal.pdf.

[3] Siehe auch: Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer – BafF e.V. (2021): Datenlage zur psychosozialen Versorgung von Überlebenden von Krieg, Folter und Flucht in Deutschland. Datenbericht-Versorgung-BAfF-2019.pdf

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