Ärzte der Welt e.V. fordert die Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte für alle Personen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen, um Barrieren und erhöhten Verwaltungsaufwand beim Zugang zu medizinischer Versorgung abzubauen.
Problemdarstellung
Für Asylsuchende, die in den ersten 18 Monaten ihres Aufenthalts Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, gilt § 4 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG). Dieser beschränkt die ihnen gewährten medizinischen Leistungen auf die Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände, Schwangerschaft und Geburt sowie Impfungen. Weitere Versorgung, wie die Behandlung chronischer Krankheiten, Leistungen für Pflegebedürftige und Hilfen für Menschen mit Behinderung sowie Sprachmittlung für eine medizinische Behandlung sind nach § 6 AsylbLG auf das zur Sicherung der Gesundheit Unerlässliche beschränkt (§ 6 AsylbLG).
Die Gesundheitsversorgung von Asylsuchenden wird in den verschiedenen Bundesländern in Deutschland unterschiedlich umgesetzt. Menschen mit Fluchterfahrung benötigen einen Behandlungsschein oder eine elektronische Gesundheitskarte (eGK), um medizinische Untersuchungen und Behandlungen der Regelversorgung zu erhalten. Dabei wird zwischen einer elektronischen Gesundheitskarte mit eingeschränktem Leistungsumfang nach §§4,6 AsylbLG und einer elektronischen Gesundheitskarte, die beispielsweise nach 18 Monaten Aufenthalt in Deutschland einen Zugang zu Gesundheitsleistungen auf Basis der gesetzlichen Krankenversicherung nach SGB V gewährleistet, differenziert. (Gold AW, Weis J, Janho L, Biddle L, Bozorgmehr K., 2021, S. 2)
Für die medizinische Versorgung benötigen Geflüchtete in Bayern einen Behandlungsschein, der ihnen entweder von Ärzt*innen in der Erstaufnahmeeinrichtung ausgehändigt wird (falls es ein medizinisches Angebot vor Ort gibt) oder er muss bei dem jeweils zuständigen Amt beantragt und ausgestellt werden. Ob ein medizinischer Bedarf vorliegt und ein Arztbesuch notwendig ist, wird hierbei oft von nicht-medizinischem Personal entschieden.
Für Termine bei Fachärzt*innen benötigen Geflüchtete neben dem Behandlungsschein des zuständigen Sozialhilfeträgers dann einen Überweisungsschein eines*einer Allgemeinärzt*in. Für teurere Behandlungen und Krankenhausaufenthalte muss die Kostenübernahme gesondert beim Sozialhilfeträger beantragt werden. Mit dem AsylbLG ist ein System behördlicher Hürden etabliert, in dem nicht selten Behördenangestellte ohne medizinische Fachkenntnisse darüber entscheiden, ob eine Krankenbehandlung durchgeführt werden darf oder nicht. Darüber hinaus führt die Einschränkung durch das Gesetz auch zu Unsicherheiten bei vielen Ärzt*innen. So haben Asylbewerber*innen beispielsweise Anspruch auf gynäkologische Krebsvorsorgeuntersuchungen. Ärzte der Welt wird aber immer wieder berichtet, dass nicht alle Gynäkolog*innen ausreichend über diese Ansprüche informiert sind und deshalb die entsprechenden Untersuchungen nicht durchführen.
Die Vorgehensweise mit Behandlungsscheinen wird medizinisch und ethisch kritisch hinterfragt. Asylsuchenden sind so noch weiteren Hürden im Gesundheitssystem ausgesetzt und deren medizinische Versorgung wird aufgeschoben und zeitlich verlegt. Sie werden diskriminiert und stigmatisiert. Durch die unterschiedlich ausgebildeten Entscheidungsträger*innen der Genehmigung zu Gesundheitsleistungen werden die Entscheidung nicht einheitlich und medizinisch gerecht gefällt. (Gold AW, Weis J, Janho L, Biddle L, Bozorgmehr K., 2021, S. 2)
Hunderttausende Menschen, die ohne geregelten Aufenthaltsstatus in Deutschland leben, sind faktisch von der Gesundheitsversorgung ausgeschlossen. Formal besteht zwar ein gesetzlicher Anspruch auf eingeschränkte Leistungen nach AsylbLG. Bei Antrag auf Kostenübernahme beim Sozialamt müssen die zuständigen Behörden jedoch die Daten wegen der sogenannten Übermittlungspflicht (AufenthG § 87 Abs. 2) an die Ausländerbehörde weitergeben.
Gemäß dem UN-Sozialpakt haben alle Menschen das Recht auf frei zugängliche und
bezahlbare Gesundheitsversorgung. Patient*innen erfahren jedoch in Deutschland
unterschiedlichste Barrieren im Zugang zu medizinischer Versorgung. Oftmals bedingen
sich diese Barrieren gegenseitig. Alle haben sie gemeinsam, dass sie eine adäquate
medizinische Versorgung verhindern.
Verbesserung der Situation durch die Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte für Geflüchtete
Bundesländer haben seit der Änderung des Gesetzes 2015 die Option mit Rahmenverträgen eine elektronische Gesundheitskarte für Geflüchtete einzuführen. Dadurch wird der Zugang zum Gesundheitssystem für Geflüchtete erleichtert, die Wirtschaftlichkeit bei Arztbesuchen erhöht sowie der Aufwand der Verwaltung in den Gemeinden reduziert.
Eine Übersicht darüber, welche Bundesländer die elektronische Gesundheitskarte
bereits eingeführt haben, ist hier zu finden.
Die elektronische Gesundheitskarte fördert Gleichstellung und Integration. Barrieren bei der Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen werden für Asylsuchende verringert. Sie hat einen positiven Einfluss auf den subjektiven allgemeinen Zustand und die psychische Gesundheit, so haben beispielsweise Depressionen und Angststörungen abgenommen. Zudem werden Wartezeiten und folglich die Chronifizierung von Krankheiten reduziert. Für Leistungserbringende werden die Abrechnungsprozesse erleichtert und Unsicherheiten hinsichtlich des Leistungsumfanges nehmen ab. Der bürokratische Aufwand wird reduziert sowie Kosten gesenkt oder neutralisiert. Durch die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte konnte in der Studie „Health Equity Studies & Migration – Report Series 2021-02 – Die elektronische Gesundheitskarte für Geflüchtete“ auch keine Überbeanspruchung im medizinischen Bereich festgestellt werden. Eine landesweite Einführung der elektronischen Gesundheitskarte für Geflüchtete mit Übernahme der anfallenden Behandlungskosten auf Landesebene wird angeraten.
In mehreren Studien konnte gezeigt werden, dass die flächendeckende Einführung der elektronischen Gesundheitskarte für Geflüchtete in anderen Bundesländern positive Effekte auf die Gesundheit Geflüchteter hat sowie eine Entlastung für die Leistungserbringenden darstellt, da der Abrechnungsprozess erleichtert und der Leistungsumfang klar benannt wird. Eine Entscheidung gegen die elektronische Gesundheitskarte ist somit eine rein politische Entscheidung.
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