Demonstration für eine bessere Gesundheitsversorgung.

Etablierung eines bayernweiten Netzwerks von Clearingstellen für Menschen ohne Krankenversicherung

Ärzte der Welt e. V. und Condrobs e. V. fordern den Aufbau und die
Finanzierung eines bayernweiten Netzwerks an Clearingstellen für Gesundheit (nach dem Vorbild der Münchner Clearingstelle Gesundheit), die Menschen ohne Krankenversicherungsschutz beraten und ihnen über einen Behandlungsfonds medizinische Versorgung ermöglichen.

Problemdarstellung

Der Großteil der Bevölkerung ist entweder gesetzlich oder privat krankenversichert.  Zusätzlich erhalten bestimmte Bevölkerungsgruppen eine Sicherung ihrer  medizinischen Versorgung durch Sozialleistungen. Leider haben Personen, die nicht  über eine dieser Absicherungsmöglichkeiten verfügen, faktisch keinen Zugang zu  bezahlbaren Gesundheitsleistungen.

Schätzungen zufolge leben in Deutschland mehrere Hunderttausend Menschen ohne Krankenversicherung, darunter auch Zehntausende in Bayern. Diese Personen haben daher keine Chance medizinische Versorgung zu erhalten.

Das deutsche Gesundheitssystem mag zwar hochentwickelt sein, ist jedoch auch sehr kostspielig, was dazu führt, dass sich die meisten Menschen die Gesundheitsversorgung aus eigener Tasche nicht leisten können.

Argumente für die Einrichtung von Clearingstellen mit Behandlungsfonds

1. Zugang zu medizinischer Versorgung für alle:

Um dem drängenden Problem entgegenzuwirken, wurden in einigen Bundesländern und Kommunen spezielle Clearingstellen eingerichtet, die den Betroffenen Beratung und Unterstützung bieten.

Durch diese Clearingstellen erhalten nicht versicherte Personen die Möglichkeit, eine Integration in eine Krankenversicherung oder andere Sozialsysteme zu klären. Innerhalb des oft langwierigen Clearingprozesses ist es essentiell, dass der Zugang zu notwendiger medizinischer Versorgung durch einen Behandlungsfonds oder das Konzept des anonymen Behandlungsscheins sichergestellt wird. Dies gewährleistet eine schnelle, bedarfsgerechte Versorgung, selbst wenn eine nachhaltige Lösung zur Aufnahme in eine Krankenversicherung noch nicht abschließend geklärt ist.

Diese Maßnahmen sind ein wichtiger Schritt, um die Gesundheitsversorgung für Menschen ohne Krankenversicherung zu verbessern und ihnen die dringend benötigte medizinische Betreuung zu ermöglichen.

2. Erfüllung internationaler Verpflichtungen:

Mit der Unterzeichnung des UN-Sozialpakts , der UN- Kinder-, UN- Frauen- und UN-Behindertenrechtskonvention hat sich Deutschland völkerrechtlich verbindlich  verpflichtet, einen diskriminierungsfreien Zugang zu Gesundheitsversorgung für alle  Menschen im Land sicherzustellen. Die Einrichtung von Clearingstellen und die  Bereitstellung finanzieller Mittel auf kommunaler und auf Landesebene sind ein Schritt  in Richtung Erfüllung dieser Verpflichtungen, bis strukturelle Veränderungen wirksam  werden.

3. Chronifizierung von Krankheiten reduzieren und Kosten senken:

Das Fehlen einer Krankenversicherung führt bei Patient*innen zu deutlich höheren  Chronifizierungsraten und häufigeren Notfallversorgungen, was zu steigenden  Ausgaben im Gesundheitssystem führt. Clearingstellen könnten dazu beitragen, diese  Kosten zu senken, indem sie über den Behandlungsfonds die Finanzierung sichern und  damit den Zugang zu präventiver und regelmäßiger medizinischer Versorgung  herstellen, wodurch chronische Erkrankungen frühzeitig behandelt werden können.

4. Bessere Versorgung für Schwangere und Kinder:

Auch werdende Mütter und Kinder, deren Eltern keine Krankenversicherung haben, sind  betroffen und haben keinen ausreichenden Zugang zu wichtigen  Vorsorgeuntersuchungen und (zahn-)medizinischer Versorgung. Clearingstellen könnten  diese Lücke schließen und sicherstellen, dass Schwangere und Kinder schnellstmöglich  ins Regelsystem integriert werden und die notwendige medizinische Behandlung  erhalten.

5. Ergänzung und Entlastung zivilgesellschaftlicher, ehrenamtlicher Initiativen:

Ehrenamtliche Initiativen wie Ärzte der Welt und andere Organisationen können das  Regelsystem, zu dem die Betroffenen keinen Zugang haben, nicht ersetzen.  Clearingstellen mit Behandlungsfonds ergänzen und entlasten dieses ehrenamtliche  medizinische Versorgungsangebot und bieten durch die Herstellung von  Leistungsansprüchen und Finanzierung von medizinischen Behandlungen eine  professionellere und breitere Basis, um Menschen ohne Krankenversicherung zu  unterstützen.

6. Flächendeckende Gesundheitsprävention:

Das Fehlen einer Krankenversicherung führt auch dazu, dass Menschen keine  präventiven Vorsorgeleistungen und Impfschutz erhalten. Dadurch wird u.a. die  Eindämmung von Infektionskrankheiten erschwert. Durch einen Gesundheitsfonds  können mehr Menschen Zugang zu präventiven Gesundheitsmaßnahmen erhalten, was  wiederum zu einem verbesserten Schutz vor Infektionskrankheiten in der  Gesamtbevölkerung führen würde.

7. Best Practice – Münchner Clearingstelle Gesundheit:

Die Münchner Clearingstelle mit Behandlungsfonds bei Condrobs hat sich in einer  dreijährigen Pilotphase bewährt und wurde im November 2022 durch den Stadtrat als  dauerhafte Einrichtung etabliert. Ihr Hauptziel ist es, Betroffenen eine klärende  Beratung für den Zugang zu Krankenversicherungen und möglichen Kostenträgern  anzubieten, um eine langfristige, reguläre Gesundheitsversorgung sicherzustellen.  Oftmals geht es dabei um die Herstellung von Sozialversicherungs- oder  Sozialleistungsansprüchen.

Die Clearingstelle verwaltet zudem den Gesundheitsfonds, über den Kosten für  behandlungsbedürftige Patient*innen, bei denen eine (Re-)Integration in die  Krankenversicherung nicht schnell genug gelingt, finanziert werden können. Dadurch  wird diesen Personen niedrigschwellig und unkompliziert medizinische Hilfe gewährt.  Das Modell der Münchner Clearingstelle könnte als erfolgreiches Beispiel für  bayernweite Beratungsstellen dienen. Die eng vernetzte Beratungsarbeit mit  Sozialbehörden, Krankenversicherungen, Kliniken und sozialen Einrichtungen führt in  München dazu, dass jährlich 54 % der Ratsuchenden in eine Krankenversicherung oder  andere Sozialsysteme integriert werden können.

Die Ausgaben des Gesundheitsfonds von jährlich bisher etwa 380.000 € für medizinische Behandlung der Klient*innen sind gut investiert. Mit diesem Geld werden dringende stationäre Aufenthalte finanziert und wichtige Therapien mit Medikamenten und Hilfsmitteln gesichert. Gleichzeitig werden Dienstleister wie Notfallhilfe leistende Kliniken entlastet, was auch zu einer verbesserten Gesundheitsversorgung der Betroffenen führt.

Einführung eines Netzwerkes an Clearingstellen mit Behandlungsfonds in Bayern

Die Einführung eines Netzwerkes von Clearingstellen mit Behandlungsfonds oder die  Implementierung des Konzepts eines anonymen Behandlungsscheins sind  unverzichtbare Instrumente, um die Gesundheitsversorgung für Menschen ohne  Krankenversicherung in Bayern zu gewährleisten. Parallel ist es ebenso entscheidend,  dass politische Maßnahmen ergriffen werden, um gesetzliche Ausschlüsse und  Zugangsbarrieren zur Gesundheitsversorgung zu beseitigen. Es liegt in der  Verantwortung der Bundesregierung, sicherzustellen, dass sämtliche Menschen in  Deutschland gemäß der ratifizierten internationalen Abkommen Zugang zu  angemessener Gesundheitsversorgung erhalten. Solange diese Hindernisse bestehen,  kann durch die Einführung weiterer Clearingstellen (mit Behandlungsfonds) die  Versorgungslücke geschlossen und eine niedrigschwellige Beratung für Menschen in  gesundheitlich prekären Lebenslagen angeboten werden. Das Ziel besteht darin, für die  Betroffenen eine Krankenversicherung herzustellen, die soziale und rechtliche Situation  zu verbessern und sie dabei zu unterstützen, ihr Menschenrecht auf Gesundheit  wahrzunehmen.

In diesem Zusammenhang appellieren Condrobs als Träger der einzigen Clearingstelle in ganz Bayern und Ärzte der Welt gemeinsam mit allen unterzeichnenden Organisationen an die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung im Freistaat Bayern, ihrer Verpflichtung nachzukommen und die medizinische Versorgung von Menschen ohne Krankenversicherung durch staatliche Finanzmittel zu gewährleisten. Eine sinnvolle Strategie zur Reduzierung der beschriebenen Versorgungslücken sehen wir in der Einrichtung eines bayernweiten Netzwerks von Beratungsstellen mit Gesundheitsfonds nach dem Modell der Münchner Clearingstelle Gesundheit bei Condrobs. Alternativ könnte auch die Etablierung eines anonymen Behandlungsscheins nach dem Vorbild bestehender Projekte in anderen Bundesländern eine effektive Lösung darstellen. Die Beratung und die gleichzeitige Finanzierung medizinischer Versorgung von nicht versicherten Klient*innen ist für die Wirkung des Angebots von entscheidender Bedeutung.

Wir sind fest davon überzeugt, dass diese Maßnahmen einen bedeutenden Beitrag zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung für Menschen ohne Krankenversicherung in Bayern leisten und eine wichtige Verpflichtung gegenüber den grundlegenden Menschenrechten darstellen. Die Implementierung eines flächendeckenden Netzwerks von Clearingstellen und die Bereitstellung eines Gesundheitsfonds ermöglichen den Zugang zu dringend benötigter medizinischer Hilfe und fördern das Ziel, bestehende Hürden im Gesundheitssystem vollständig abzubauen.

Wir fordern die politischen Entscheidungsträger*innen auf, diese dringenden Maßnahmen zu unterstützen und sicherzustellen, dass alle Menschen in Bayern, unabhängig von ihrem Versicherungsstatus, ihr Recht auf eine angemessene Gesundheitsversorgung wahrnehmen können. Die Umsetzung dieser Lösungsansätze ist ein wichtiger Schritt, um eine inklusive und gerechte Gesundheitsversorgung für alle Bevölkerungsgruppen zu gewährleisten und Ungleichheiten zu reduzieren. Durch gemeinsames Engagement und Zusammenarbeit können wir die Situation für Menschen ohne Krankenversicherung deutlich verbessern und ihnen den Zugang zu medizinischer Betreuung ermöglichen, die für ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden unerlässlich ist.

Kontakt

Haben Sie Fragen oder Anmerkungen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir sind für Sie da.

Dr. Johnna Offe, Leitung Advocacy

Dr. Johanna Offe

Leitung Advocacy

Tel: +49 (0)30 26 55 77 72

E-Mail: johanna.offe@aerztederwelt.org

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