Berlin, den 14. Februar 2025
Offener Brief an die Bundes- und Fraktionsvorsitzenden
Verantwortung und internationale Solidarität in Zeiten globaler
Herausforderungen
Sehr geehrte Bundes- und Fraktionsvorsitzende,
wir, 10 deutsche und internationale Hilfsorganisationen im Bereich der humanitären
Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit, wenden uns heute an Sie, um unsere
wachsende Sorge darüber auszudrücken, dass die aktuelle Verschärfung des
öffentlichen Diskurses den gesellschaftlichen Zusammenhalt bedroht und unsere
Demokratie und die Menschenrechte gefährdet. Ungleichheit, Armut und
Ausgrenzung weltweit und in Deutschland verschärfen sich, während zugleich die
Unterstützung für lebensrettende Arbeit in Krisen- und Konfliktgebieten der Welt
schwindet.
In einer Zeit, in der die humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit weltweit
unter Druck steht und die USA als größter Geber die internationale Hilfe massiv
abbaut, muss die zukünftige deutsche Regierung eine stärkere Rolle übernehmen
und zu ihren demokratischen Werten und ihrer internationalen Verantwortung für eine
nachhaltige Entwicklung stehen.
Deutschland trägt eine wesentliche Verantwortung, die eklatanten Ungleichheiten
abzubauen. In Zeiten einer Welt mit einem Höchststand an humanitären Krisen und
Bedarfen ist die Verantwortung akuter denn je. Zugleich trägt Deutschland als eine
der größten Industrienationen auch eine historische Verantwortung, die sich
verschärfenden akuten und strukturellen Ungleichheiten abzubauen.
Als bisher zweitgrößter bilateraler Geber für humanitäre Hilfe und
Entwicklungszusammenarbeit muss Deutschland auch zukünftig ein verlässlicher
Partner sein. Die Mittel für diese essenziellen Politikfelder dürfen in den
Haushaltsverhandlungen weder zur Disposition gestellt noch als politische
Verhandlungsmasse instrumentalisiert werden.
Wir sind zutiefst besorgt, dass der Konsens zur internationalen Solidarität in unserer
Gesellschaft und Politik erodiert. Diskriminierung und Populismus prägen zunehmend
die innenpolitische Debatte. Wir befürchten, dass vor diesem Hintergrund die
internationale Verantwortung Deutschlands den kurzfristigen innenpolitischen
Interessen geopfert wird. Die alleinige Konzentration auf innenpolitische Themen
verkennt die zunehmende Bedeutung globaler Herausforderungen wie Hunger,
Flucht und Vertreibung, Konflikte und die Klimakrise.
Deutschland hat sich in der Vergangenheit stets zu seiner internationalen
Verantwortung bekannt und innerhalb der globalen Gemeinschaft einen wichtigen Beitrag für die Beseitigung humanitärer Not und die Agenda 2030 geleistet. Die
aktuelle Debatte jedoch zeigt deutlich, dass dieser Konsens zu kippen droht – mit
fatalen und lebensbedrohlichen Konsequenzen für Millionen von Menschen in
Krisen- und Konfliktgebieten, aber auch in Deutschland, beispielsweise durch
Klimafolgen.
Wir appellieren an Sie, unsere demokratischen Werte und die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen zu stärken und daran mitzuwirken, dass globale Verantwortung und Solidarität feste Bestandteile unseres demokratischen Selbstverständnisses bleiben.
Wir sind uns bewusst, dass auch wir NGOs uns an die veränderten
Rahmenbedingungen in Form von steigenden Bedarfszahlen und sinkenden Mitteln
anpassen müssen. Die Auflösung dieses Widerspruchs liegt jedoch nicht in der
Macht von Hilfsorganisationen. Angesichts der immer lauter werdenden Rufe nach
Effizienz- und Effektivitätssteigerung unseres Sektors sagen wir hier sehr deutlich: In
einer Zeit, in der immer mehr Menschen unverschuldet in Not geraten, ist es trotz
steigender Effizienz und Effektivität nicht möglich, mit wesentlich weniger Mitteln
deutlich mehr Menschen die notwendige Unterstützung zukommen zu lassen. Die
Schere wird im Gegenteil immer weiter aufgehen.
Als zivilgesellschaftliche Organisationen setzen wir uns außerdem für den Schutz
des humanitären Raums in Konfliktgebieten und den Schutz der Menschenrechte
ein. Insbesondere in Zeiten, in denen diese Werte – der Schutz von Leben und die
Achtung der Menschenrechte – weltweit und auch in Deutschland unter Druck
geraten, ist verantwortungsvolles Handeln der Politik unerlässlich. Die Unterstützung
der Zivilgesellschaft muss dabei eine Priorität sein.
In Ihrer Funktion als politische Entscheidungstragende in Deutschland fordern wir Sie
auf: Wenden Sie sich nicht von Millionen von Menschen in Not ab. Setzen Sie
innerhalb Ihres Amtes ein klares Zeichen für internationale Solidarität und gegen jede
Form von Populismus und Diskriminierung. Menschen, die durch Kriege, Konflikte
und die Klimakrise unverschuldet in Not geraten sind, dürfen nicht zur politischen
Verhandlungsmasse werden.
Wir stehen Ihnen jederzeit für Gespräche zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen,
ADRA Deutschland e.V.
Christian Molke, Vorsitzender des Vorstands
Aktion gegen den Hunger
Dr. Helene Mutschler, Geschäftsführerin
Ärzte der Welt e.V.
François De Keersmaeker, Direktor
Danish Refugee Council (DRC) Deutschland
Marten Mylius, Geschäftsführer
International Rescue Committee (IRC) Deutschland
Corina Pfitzner, Geschäftsführerin
NRC Deutschland
Maike Röttger, Geschäftsführerin
Oxfam Deutschland e.V.
Serap Altinisik, Vorstandsvorsitzende
Plan International Deutschland
Petra Berner, Vorstandsvorsitzende
Save The Children
Florian Westphal, Geschäftsführer und Vorstandsvorsitzender
Deutsche Welthungerhilfe e.V.
Mathias Mogge, Generalsekretär und Vorstandsvorsitzender
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