Behandlungsbus von Ärzte der Welt beim Übernachtungsschutz in München.

Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune

Dass die Kernelemente des ursprünglich geplantes Gesetzespakets zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune, Gesundheitskioske, Primärversorgungszentren und Gesundheitsregionen, die insbesondere auch sozial benachteiligte Menschen erreichen sollten, vollständig aus dem Referentenentwurf
gestrichen wurden, bedauern wir sehr.

Denn auch wenn die Konzepte aus unserer Sicht noch verbesserungswürdig waren
und marginalisierte Bevölkerungsgruppen noch nicht ausreichend berücksichtigt hatten,
waren sie doch ein längst überfälliger erster Schritt auf dem Weg zu einer niedrigschwelligeren Primärversorgung und hatten gute Ansatzpunkte. Dazu gehörten unter anderem, dass zumindest im Konzept der Gesundheitskioske der Zugang auch für
Nicht-Versicherte und Menschen mit Sprachbarrieren Berücksichtigung fand und dass das Konzept vorsah, auch aufsuchende Angebote zu ermöglichen sowie auf lokale Bedarfe einzugehen. Als sinnvolle Maßnahmen erachten wir auch das Schaffen von Strukturen für die enge Vernetzung zwischen Öffentlichen Gesundheitsdienst, Versorgungs- und Beratungsangeboten sowie mit weiteren Akteur*innen im Stadtteil bzw. in der Region und die explizite Einbeziehung von Gesundheitsförderung und Prävention in die Konzepte.

Wir bedauern, dass die Chance, bestehende Versorgungslücken zu schließen und
Gesundheitsversorgung insgesamt niedrigschwelliger und zugänglich auch für benachteiligte Bevölkerungsgruppen zu gestalten, nicht wahrgenommen wurde.

Basierend auf unserer langjährigen Erfahrung in der Gestaltung niedrigschwelliger
Versorgungs- und Beratungsangebote sprechen wir uns daher dafür aus, dass
folgende Aspekte im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens erneut diskutiert
werden und in ein Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsversorgung Eingang finden:

  • Um gesundheitliche Versorgung niedrigschwelliger für alle zu gestalten, sollten bundesweit Regionen und Stadtteilen mit einem hohen Anteil an sozial benachteiligten Personen oder in strukturell benachteiligten Regionen Gesundheitszentren nach dem Vorbild des Gesundheitskollektivs Berlin oder der Poliklinik Veddel Hamburg eingerichtet und langfristig finanziert werden, in denen Gemeinwesenarbeit, Gesundheitsförderung und Prävention eine zentrale Rolle spielen und in denen die Beratung und Versorgung durch multiprofessionelle Teams erfolgt, weil Ärzt*innen, Pflegefachpersonen, Sozialarbeiter*innen und weitere Gesundheitsberufe unter einem Dach und in einer gemeinsamem gemeinnützigen Trägerform zusammenarbeiten und Leistungen aus verschiedenen Sozialgesetzbüchern abrechnen können. Um den sozialen Determinanten von Gesundheit ausreichend Sorge zu tragen, erachten wir diese interprofessionelle Zusammenarbeit für zentral. Neben pflegerischer und medizinischer, ist sozialarbeiterische und psychosoziale Kompetenz im Personalkonzept von Versorgungsstrukturen zu berücksichtigen, um den komplexen (gesundheitlichen) Problemlagen von Menschen in prekären Lebenssituationen gerecht zu werden und Klient*innen z.B. zu ihren Ansprüchen in Bezug auf Gesundheitsleistungen beraten und bei ihrer Durchsetzung unterstützen zu können.
  • Um Zugang zu Gesundheitsversorgung für alle sicherzustellen, sollten Clearingstellen für Gesundheit mit der Möglichkeit zur Übernahme von Behandlungskosten (z. B. finanziert durch einen durch den Bund finanzierten Behandlungsfonds) bundesweit flächendeckend etabliert werden, um notwendige medizinische Versorgung im Regelsystem akut sicherzustellen und Betroffene beratend dabei zu unterstützen, Leistungsansprüche und Krankenversicherung (wieder) herzustellen. Dies ist notwendig, solange bundesgesetzliche Ausschlüsse von Krankenversicherung und Einschränkungen im Zugang zu Gesundheitsleistungen für einige Bevölkerungsgruppen (darunter Menschen mit Schulden, Asylsuchende, Migrant*innen ohne gültigen Aufenthaltstitel, etc.) fortbestehen.
  • Um eine bedarfsgerechte Unterstützung zu gewährleisten, bedarf es einer guten Verständigung. Für die Beratung und Versorgung von Menschen ohne ausreichende Deutschkenntnisse muss daher die Verfügbarkeit und Finanzierung qualifizierter Sprachmittlung gewährleistet werden. Das Koalitionsvorhaben zur Einführung von Sprachmittlungsansprüchen sollte schnellstmöglich und noch mit diesem Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht werden.
  • Um Doppelstrukturen, Versorgungslücken und Ineffizienz zu vermeiden, sollten koordinierende Instanzen innerhalb des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) eingerichtet und finanziert werden, die bestehende Gesundheitsdienste, psychosoziale Angebote und niedrigschwellige Versorgungsstrukturen planen und weiterentwickeln, miteinander vernetzen und aufeinander abstimmen, wie zum Beispiel Gesundheitskonferenzen oder Gesundheitsregionen.

Kontakt

Haben Sie Fragen oder Anmerkungen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir sind für Sie da.

Dr. Johnna Offe, Leitung Advocacy

Dr. Johanna Offe

Leitung Advocacy

Tel: +49 (0)30 26 55 77 72

E-Mail: johanna.offe@aerztederwelt.org

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