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Schlafender Junge in Belgrad, Serbien. Foto: Olmo Calvo

Europäischer Bericht: Menschen in schwierigen Lebenssituationen oft schlecht versorgt

 

Europäischer Bericht: Menschen in schwierigen Lebenssituationen oft schlecht versorgt

Am 14. November 2016 stellte Ärzte der Welt den neuen europäischen Bericht über die Gesundheitsversorgung von Menschen in schwierigen Lebenssituationen vor. Dafür wurden die Patienten der medizinischen Anlaufstellen von Ärzte der Welt in zwölf Ländern befragt.

Fast 10.000 Menschen in 31 Städten und zwölf Ländern wurden im vergangenen Jahr zu ihren sozialen Lebensumständen und ihrer medizinischen Versorgung befragt. Der Bericht zeigt, dass 43,6 Prozent der schwangeren Frauen keinen Zugang zu Geburtsvorsorge hatten, bevor sie zu einer Praxis von Ärzte der Welt oder einer Partnerklinik kamen. Für die werdenden Mütter und ihre Kinder bedeutet das ein hohes Gesundheitsrisiko. Erschreckenderweise waren 40 Prozent der Kinder, die in den Ambulanzen von Ärzte der Welt behandelt wurden, nicht gegen Mumps, Masern und Röteln geimpft und knapp 30 Prozent nicht gegen Tetanus. Der mangelnde Schutz der Kinder vor diesen vermeidbaren Krankheiten ist bedenklich, vor allem bei denjenigen, die in einem Umfeld mit einem hohen Infektionsrisiko leben. Ein Drittel der Eltern weiß nicht, wo sie ihre Kinder impfen lassen können.

Über 40 Prozent Kriegsflüchtlinge

Der Bericht zeigt auch, wie viele der befragten Menschen wegen Krieg, politischer Unterdrückung, Folter oder illegaler Inhaftierung fliehen mussten: Von den 6.083 Befragten, die außerhalb Europas geboren worden waren, sind 3.286 bereits anerkannte Flüchtlinge oder Asylbewerber.

12,8 Prozent der geflüchteten Menschen hatten Gewalterfahrungen gemacht, was Gewalt durch die Polizei oder bewaffnete Kräfte einschließt. 26 Prozent der Menschen berichteten von psychischer Gewalt. Über ein Viertel der Befragten (26,7 Prozent) litten während ihrer Flucht an Hunger.

Hohe Hürden in Deutschland

Für den Bericht wurden alle Patient(inn)en aus den Praxen in München und Hamburg befragt. Dabei wurde ersichtlich, dass es auch in Deutschland Zugangsbarrieren zur gesundheitlichen Versorgung gibt: 35 Prozent der Befragten verzichten auf den Gang zum Arzt, weil sie sich einen Arztbesuch, Medikamente oder eine Krankenversicherung nicht leisten können. Auch Sprachbarrieren und administrative Probleme halten sie davon ab, Gesundheitsdienstleistungen in Anspruch zu nehmen.

Schwangere und Kinder besser medizinisch versorgen

Besonders besorgniserregend ist die Situation von Schwangeren und Minderjährigen: In München zum Beispiel erfolgten 26 Prozent der Untersuchungen bei schwangeren Frauen, die bisher keinen Zugang zur Geburtsvorsorge hatten. Neun Prozent der Behandelten waren Minderjährige, die ohne die medizinische Hilfe von Ärzte der Welt keine der notwendigen U-Untersuchungen und Impfungen erhalten hätten.

In der Hamburger Praxis ist der Frauenanteil mit 59 Prozent höher, hier kommen zwölf Prozent aufgrund einer Schwangerschaft. Bedenklich ist, dass die meisten Schwangeren erst in einem fortgeschrittenen Stadium die Praxis aufsuchen und vorher keinen Arzt gesehen haben. 14 Prozent der Patient(inn)en waren Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, die bei Ärzte der Welt erstmalig die notwendigen Impfungen und Vorsorgeuntersuchungen erhielten.

Aufgrund dieser Ergebnisse stellt Ärzte der Welt folgende Forderungen an die europäische und deutsche Politik:

  • Frauen müssen Zugang zur Schwangerschaftsvorsorge und zu einer medizinischen Begleitung während der Geburt haben.
  • Frauen müssen bei einem Schwangerschaftsabbruch medizinisch betreut werden.
  • Für Kinder muss der Zugang zu Impfprogrammen und kindermedizinischer Versorgung gesichert sein.
  • Die Aufnahmebedingungen für geflohene Menschen müssen den Standards der Humanitären Hilfe entsprechen, gerade Minderjährige müssen besonderen Schutz genießen. Es müssen legale und sichere Fluchtrouten nach Europa geschaffen werden, so dass die fliehenden Menschen nicht gezwungen sind, sich unnötigen Gefahren wie der Flucht über das Mittelmeer auszusetzen.

Den Bericht in englischer Sprache finden Sie » hier.