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Bashar Kailani ist Generalkoordinator von Ärzte der Welt in der Ukraine

„Niemand kann immer im Panikzustand leben“

„Niemand kann immer im Panikzustand leben“

 

Wie geht es den Menschen in der Ukraine ein Jahr nach dem russischen Angriff gesundheitlich und mental? Und wie stellt sich Ärzte der Welt auf die neue Lage ein? Unser Koordinator vor Ort Bashar Kailani berichtet im Interview.

Der Krieg in der Ukraine dauert inzwischen über ein Jahr an. Was hat sich verändert?

Am Anfang gab es ein allgemeines Gefühl der Panik, des „ich muss sofort hier weg“. Das hat sich verändert. Viele Menschen kehren zurück. Die Bevölkerung hat sich mit dem, was passiert, arrangieren müssen. Am Anfang, wenn der Alarm losging, haben die Leute große Angst bekommen und sich in die Schutzräume geflüchtet. Aber heute gibt es so häufig Alarm, dass man gelernt hat, die verschiedenen Arten zu unterscheiden. Gestern zum Beispiel gab es sieben Mal Alarm und niemand hat auch nur die Tür des Schutzraums geöffnet. Niemand kann in einem ständigen Panikzustand leben. Aber es macht etwas mit den Menschen.

Nehmen psychische Probleme zu?

Psychische Gesundheit ist eines der größten Probleme in der Ukraine, vor allem für Menschen, die bereits mehrfach vertrieben worden sind. Die zahlreichen Menschen zum Beispiel, die im Januar von dem Raketenangriff auf ein Wohnhaus in der Stadt Dnipro betroffen waren, waren zuvor bereits aus der ostukrainischen Oblast Donezk vertrieben worden. Die Überlebenden des Angriffs mussten mitansehen wie Menschen starben, die mit ihnen geflohen waren. Dabei hatten sie sich gerade einigermaßen sicher gefühlt.

Was tut Ärzte der Welt, um die psychische Gesundheit der Menschen zu verbessern?

In diesem Kontext funktionieren traditionelle psychologische Behandlungsmethoden nicht immer. Wir versuchen, neue, kreative Wege zu finden, um die mentale Gesundheit unserer Patient*innen zu stärken. Zum Beispiel erproben wir gerade Theaterworkshops als therapeutische Technik. Sie helfen traumatisierten Menschen sehr dabei, sich zu öffnen und ihre Gefühle auszudrücken. In der Ukraine funktioniert das besonders gut, weil viele Menschen mit der Welt des Theaters kulturell vertraut sind.

Das klingt interessant. Wie sieht es mit eher traditionellen Ansätzen aus?

Unsere Psycholog*innen bieten als Teil unserer mobilen Teams auch traditionelle Therapien an. Aber es gibt nicht genügend Psycholog*innen in der Ukraine, um sie für alle, die sie brauchen, auch bereitzustellen. Kein Land der Welt hätte ausreichende Kapazitäten. Deshalb bilden wir Gesundheits- und Pflegepersonal, Hebammen, Ärzt*innen und Sozialabeiter*innen im Bereich mentale Gesundheit fort.

Welche anderen dringenden Bedarfe gibt es bei der Gesundheitsversorgung?

Da einige Menschen sehr lange in einer Gemeinschaftsunterkunft leben müssen, bekommen viele Atemwegsprobleme. Tuberkulose wird zu einem echten Problem. Die Menschen leben auf engstem Raum, und wenn man sich in einem Hotspot befindet, verlässt man die Unterkunft kaum. So atmen alle rund um die Uhr in geschlossenen Räumen die gleiche Luft ein. Die hygienische Situation in den Unterkünften ist generell oft problematisch.

Welche Schwierigkeiten begegnen einem als humanitärem Helfer bei der Arbeit in einem Kriegsland?

Dinge, die in anderen Kontexten selbstverständlich sind, brauchen viel Zeit. Zum Beispiel wollten wir eine Insulinlieferung an einen Ort bringen, der weniger als 90 Kilometer entfernt war. Wir haben drei Wochen dafür gebraucht. Der Grund dafür war, dass der Ort in einem Gebiet war, das unter schwerem Beschuss stand. Kaum ein Transportunternehmen war bereit, dorthin zu fahren. Und die Firmen, die dazu bereit waren, waren nicht in der Lage, die nötige Kühlkette einzuhalten. Als wir es dann endlich geschafft haben, ein Transportunternehmen zu finden, konnten wir die Lieferung gleich am nächsten Tag verschicken.

 

Ärzte der Welt Generalkoordinator Bashar Kailani
Ärzte der Welt Generalkoordinator Bashar Kailani

 

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