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Überlebende des Erdbebens stehen in Antakya in der Türkei zusammen. Foto: Olivier Papegnies

Trauma überwinden

Trauma überwinden

 

Ein halbes Jahr sind die gewaltigen Erdbeben im syrisch-türkischen Grenzgebiet nun her. Ganze Städte wurden zerstört, Zehntausende Menschen verloren ihr Leben, wurden verletzt oder obdachlos. Die materiellen und körperlichen Schäden sind kaum zu beziffern. Noch schwieriger ist es, das Ausmaß der psychischen und seelischen Folgen für die Betroffenen einzuschätzen. Ärzte der Welt ist mit Teams aus psychologisch geschultem Fachpersonal und Psycholog*innen in dem Gebiet aktiv und hilft den Menschen, das Erlebte zu verarbeiten. Zwei erfolgreiche Geschichten.

Zuhair

Zuhair ist zehn Jahre alt und lebt mit seiner Familie in einem kleinen Haus am Rande der Stadt Sarmada im Nordwesten Syriens. In den vergangenen Jahren hatte die Familie mehrfach innerhalb Syriens fliehen müssen. Doch sie hatte es geschafft, sich ein neues Leben aufzubauen. Dann kam das Erdbeben. Es hinterließ bei Zuhair und seiner Familie starke Spuren. Zuhair entwickelte neue Verhaltensmuster, die seine Mutter beunruhigten. Er begann zu stottern und ging nur noch ungern in den Supermarkt, da er befürchtete, wegen seiner Sprachschwierigkeiten verspottet zu werden. Zuhairs Mutter suchte mit ihm die Klinik für psychische Gesundheit im Gesundheitszentrum von Ärzte der Welt auf. Zuhair berichtete dort von seinen Ängsten, die ihn seit dem Erdbeben plagten, bei dem er seinen Großvater, seine Großmutter und seinen Onkel verloren hatte.

Im Laufe mehrerer Sitzungen mit Psychologen erhielt Zuhair psychologische Erste Hilfe, Maltherapie und erlernte Entspannungstechniken, um seine Ängste zu bewältigen. Das Team für psychische Gesundheit konzentrierte sich darauf, Zuhairs Stärken zu fördern und gab seinen Eltern Tipps, um sein Selbstvertrauen zu erhöhen.

Die Therapie zeigte Wirkung: Zuhairs Zustand begann sich zu stabilisieren. Er unternahm wieder mehr mit seinen Freunden und gewann seine Freude am Spielen zurück. Zuhairs schulische Leistungen verbesserten sich und sein Stottern wurde weniger. Er gewann das Selbstvertrauen, Aufgaben wieder selbständig zu erledigen. Mit der Zeit nahm auch seine Traurigkeit ab. Inzwischen hat er eine gute Resilienz entwickelt.

Der zehnjährige Zuhair bei einer psychologischen Sitzung in der Sarmada Klinik. Foto: Ärzte der Welt
Der zehnjährige Zuhair bei einer psychologischen Sitzung in der Sarmada Klinik. Foto: Ärzte der Welt

 

Manal Yousuf (Name geändert)

„Es war wie ein Albtraum. Ich begriff nicht, was passierte. Ich erinnere mich nur daran, wie ich mein kleines Kind trug und meine anderen Kinder aufweckte. Wir rannten die Treppe hinunter.  Ich weiß nicht mehr, wo mein Mann in diesem Moment war. Das Haus bebte lange Zeit. Es regnete und war sehr kalt. Meine Kinder schrien. Ich weiß nicht mehr genau, was passiert ist, nur dass ich außerhalb des Hauses war. Die Trümmer lagen überall herum, der Boden bebte und wir rannten aus unserem Viertel weg. Als unsere Verwandten kamen, begannen wir, nach meinem Mann zu suchen. Wir konnten ihn aus den Trümmern holen und retten, aber er hat seinen Arm verloren."

Manal Yousuf, eine 43-jährige Frau und vierfache Mutter, musste vor dem syrischen Bürgerkrieg aus ihrer Heimat in der Provinz Hama fliehen und hatte zusammen mit ihrer Familie Zuflucht an der syrisch-türkischen Grenze gefunden.

Am 6. Februar wachte sie morgens durch das heftige Erdbeben auf. In ihrer Panik schaffte sie es, ihre Kinder zu packen und aus dem Gebäude zu rennen. Nach dem Beben lang ein großer Teil ihres Hauses in Schutt und Asche, so dass sie nun obdachlos und vollkommen schutzlos waren. Manals Mann lag in den Trümmern des Hauses, konnte aber geborgen und in ein Krankenhaus gebracht werden. Wegen schweren Verletzungen musste ihm der Arm amputiert werden.

Um diese traumatische Erfahrung zu verarbeiten, suchte Manal Hilfe im Gesundheitszentrum Jandairis von Ärzte der Welt. Die Teams betreuten sie psychologisch und unterstützen die Familie mit Lebensmitteln. Sie brachten sie in einer Notunterkunft unter und setzten die Mutter mit dem Women's Empowerment Center, einem Zentrum zur Stärkung von Frauen, in Verbindung.

Im geschützten Raum der psychologischen Sitzungen erzählte Manal von ihren furchtbaren Erfahrungen und den Albträumen, die sie verfolgten. Sie erzählte, dass sie nicht schlafen konnte und dass die Beziehung zu ihrem Mann nach seiner Amputation sehr belastet war. Das psychologische Team half ihr, mit den Folgen der traumatischen Ereignisse und den Schuldgefühlen für das, was mit ihrem Mann geschehen war, umzugehen.

Mit ihrer neu gewonnenen Stärke und Entschlossenheit begann Manal eine Berufsausbildung und besuchte Nähkurse, um das Familieneinkommen zu verbessern. Das Women's Empowerment Center wurde für sie ein Ort der Neuorientierung und des Zusammenhalts, wo sie andere Frauen traf, die in einer ähnlichen Situation waren.

Manal Yousuf bei einer Sitzung mit einer Psychologin in der Jandairis Klinik. Foto: Ärzte der Welt
Manal Yousuf bei einer Sitzung mit einer Psychologin in der Jandairis Klinik. Foto: Ärzte der Welt

 

Psychologische Erste Hilfe als wichtiger Faktor der Genesung

Beispiele wie die von Zuhair und Manal zeigen, wie zentral psychologische Erste Hilfe und eine professionelle Betreuung nach traumatisierenden Ereignissen ist. Gerade nach Katastrophen und Konflikten ist es wichtig, die psychischen Bedürfnisse der Menschen zu erkennen und ernst zu nehmen, insbesondere bei Kindern, die oft am meisten gefährdet sind.

Geschichten wie diese können auch Inspiration sein für andere. Sie zeigen, dass man mit der richtigen Unterstützung selbst unter schwierigsten Umständen eine eigene Widerstandskraft entwickeln oder wieder herstellen kann.

Gleichzeitig wird durch diese Fälle auch deutlich, dass weiterhin in die psychische Gesundheit investiert werden muss. Alle Menschen sollen zudem ohne Angst vor Stigma oder Ausgrenzung psychologische Hilfe nutzen können.

 

Die Arbeit von Ärzte der Welt wird vom Auswärtigen Amt und von privaten Spender*innen unterstützt. Herzlichen Dank an alle, die sich für die die Menschen im Erdbebengebiet einsetzen!
 

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