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Häufige Fragen zum Aussetzen des Patentschutzes für Mittel gegen Covid-19

Häufige Fragen zum Aussetzen des Patentschutzes für Mittel gegen Covid-19

 

Die Europäische Kommission und einige EU-Mitgliedstaaten ignorieren immer lauter werdende Forderungen nach einer temporären Aussetzung von Patenten (Waiver). Was ist eigentlich der TRIPS-Waiver und warum unterstützt Ärzte der Welt diese Forderung? 

Was ist das aktuelle Problem?

Genügend Menschen weltweit zu immunisieren ist der einzige Weg, die Covid-19-Pandemie zu beenden. Wenn irgendwo auf der Welt weiter Infektionen auftreten, besteht die Gefahr, dass sich SARS-CoV-2-Varianten entwickeln, die gegen existierende Impfstoffe resistent sind. Insofern ist es im Interesse aller und nicht „nur“ ein menschenrechtliches Gebot, Impfstoffe schnell und gerecht zu verteilen. 

Aktuell wird über ein zeitweiliges Aussetzen des Patentschutzes für Covid-19-Produkte diskutiert, um eine breitere Produktion zu ermöglichen (der sogenannte TRIPS-Waiver, siehe unten). 

Was sind eigentlich Patente? 

Patente sind Monopolrechte, die von einem Staat an eine*n einzelne*n Erfinder*in oder ein Unternehmen erteilt werden. Damit darf dann für 20 Jahre niemand anderes die patentierte Erfindung herstellen oder vermarkten. Die Grundidee ist, Anreiz für Innovation zu schaffen, denn durch das Patent können ohne Konkurrenz 20 Jahre lang hohe Gewinne erzielt werden. Patentinhaber*innen können auch sogenannte freiwillige Lizenzen vergeben. Damit können andere Hersteller auch die Erfindung produzieren, müssen aber besondere Konditionen einhalten und Lizenzgebühren bezahlen. 

Was ist das Besondere an Medikamentenpatenten? 

Medikamente sind ein besonderes Gut: 

  • Anders als bei zum Beispiel einem neuen Elektrogerät hängt die Bereitschaft, Medikamente zu konsumieren, kaum davon ab, wie teuer sie sind. Während also bei anderen Monopolen beziehungsweise Patenten immerhin noch die Nachfrage den Preis reguliert, ist die Preisgestaltung bei Medikamenten praktisch grenzenlos, wenn es keine Konkurrenz auf der Angebotsseite gibt – zum Beispiel durch Firmen, die Generika herstellen.
  • Nicht nur das Individuum, sondern auch die ganze Gesellschaft profitiert davon, dass ein Medikament eingenommen wird. Im Falle von Corona gilt dies besonders: Niemand ist sicher, bevor alle sicher sind, unter anderem weil Infektionen impfresistente Mutationen hervorbringen können.
  • Menschen mit geringen finanziellen Mitteln brauchen Medikamente, auch wenn sie sie nicht bezahlen können. Dass der Anreiz für Erfindungen desto größer ist, je größer die Kaufkraft potenzieller Kunden ist, führt bereits heute zu Problemen. Medikamente ohne Markt, also für armutsassoziierte Krankheiten, Rezepturen für Gegenden ohne Kühlung oder für Kinder sowie schwer verkäufliche Impfungen werden zum Beispiel aus diesem Grund kaum entwickelt. Deshalb waren Medikamente in den meisten Ländern lange ausgenommen von der Patentierung. Auch in Deutschland galt bis 1968 im Sinne der „öffentlichen Wohlfahrt“ das sogenannte Stoffschutzverbot. (Trotzdem hat übrigens Innovation stattgefunden und es wurden zum Beispiel die Antibabypille, Aspirin und das erste Tuberkulose-Medikament erfunden.)

 

Und was ist der TRIPS-Waiver, um den es aktuell geht? 

Indien und Südafrika haben im Oktober vergangenen Jahres bei der Welthandelsorganisation (WTO) beantragt, die TRIPS Bestimmungen für die Zeit der Pandemie für alle Produkte auszusetzen, die für die Bekämpfung von Covid-19 notwendig sind. Das ist ein radikaler Vorschlag, aber nach den Regularien der WTO durchaus möglich. Er würde bedeuten, dass Länder den Patentschutz nicht gewähren müssen (aber weiterhin können). Es geht dabei nicht nur um Impfstoffe und zukünftige Therapien, sondern auch um Beatmungsgeräte, Masken und so weiter. Konkret bedeutet es, dass Pharmafirmen nicht in allen Ländern gegen Firmen und Einzelpersonen juristisch vorgehen könnten, die die gleichen Produkte herstellen. 

Die pharmazeutische Industrie in Indien (die weltweit die meisten Impfstoffe herstellt) könnte dann ohne Verhandlungen über freiwillige Lizenzen das „Rezept“ für die Herstellung von mRNA-Impfstoffen nutzen. Die Hoffnung ist, dass dadurch alle vorhandenen Kapazitäten genutzt werden und weitere aufgebaut werden. Denn die Herrsteller müssten nicht erst - womöglich vergeblich - in Lizenzverhandlungen eintreten oder Gebühren fürchten.  

Mehr als 100 Länder haben sich hinter den Vorschlag von Indien und Südafrika gestellt. Auch die USA unterstützen den TRIPS-Waiver für Impfstoffe. Die EU aber – allen voran wohl Deutschland – lehnt dies ab. 

Hat nicht die schnelle Entwicklung eines Impfstoffs gegen Corona gezeigt, dass das Patentmodell als Anreizsystem funktioniert hat? Und würde nicht ein Aussetzen der Patente den Anreiz zerstören? 

Jein. 

Ja: Das Tempo der Entwicklung ist teilweise auf die Aussicht auf einen großen Markt zurückzuführen.

Nein: 

  • Die mRNA-Technologie, auf der die erfolgreichsten Impfstoffe beruhen, ist ganz wesentlich an Universitäten - also öffentlich finanziert - entwickelt worden. Auch für die Weiterentwicklung und Anpassung an Covid-19 sind erhebliche staatliche Zuschüsse geflossen. Nur durch die Aussicht auf ein Patent wäre die Innovation also nicht zustande gekommen. 
  • Für frühere Viren, bei denen ebenfalls Bedarf vorhanden gewesen wäre, es aber weniger Markt gab (SARS, MERS), wurden keine Impfstoffe entwickelt.
  • So erfreulich die schnelle Entwicklung eines Impfstoffs ist, zählt primär, wie viele Menschen ihn tatsächlich bekommen. Und das sind im Moment eben vor allem die in reichen Ländern, wo es einen lukrativen Markt gibt.   

Das Argument der Pharmaindustrie, dass ein Aussetzen der Patente Anreize zerstören würde, widerspricht sich selbst: Mit dem TRIPS-Waiver wären andere Länder in der Lage, Impfstoffe herzustellen und auch in zukünftige Forschung zu investieren. 

Muss die Investition der Pharmaunternehmen in die Forschung nicht belohnt werden? 

Auch wenn die Pharmaunternehmen ihre genauen Investitionen nicht transparent machen, ist in den vergangenen Jahren deutlich geworden, dass sie oft nicht selbst in Forschung investieren. Stattdessen kaufen sie vielversprechende Start-ups auf. Durchschnittlich investieren sie mehr in Marketing als in Forschung. Grundlagenforschung wird überwiegend öffentlich finanziert. 

Die Gewinne der Pharmaunternehmen sind dennoch bereits jetzt erheblich (Pfizer erwartet 2021 einen Umsatz von 26 Milliarden US-Dollar, Moderna von 19 Milliarden US-Dollar).  

Können Länder des Globalen Südens nicht Zwangslizenzen nutzen, um die Patente auf die Covid-19-Produkte zu kommen? 

Grundsätzlich wäre dies möglich, aber Produkte sind häufig mit verschiedensten Patenten belegt. Für jedes einzelne müsste eine Zwangslizenz erlassen werden. Das ist langwierig und riskant. Außerdem dürfte ein Produkt, das unter einer Zwangslizenz hergestellt wird nur unter besonderen Konditionen auch exportiert werden. In der Vergangenheit sind Länder, die Zwangslizenzen angewandt haben darüber hinaus von den USA und der EU im internationalen Handel abgestraft und zum Beispiel als weniger vertrauensvolle Handelspartner eingestuft worden. 

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