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Referentin Michelle Kerndl-Özcan. Foto: privat

Michelle Kerndl-Özcan: Langfristig einen Unterschied machen

Michelle Kerndl-Özcan: Langfristig einen Unterschied machen

 

Michelle Kerndl-Özcan hat früher unter anderem in der Türkei mit geflüchteten Jugendlichen gearbeitet. Heute nutzt sie als Referentin für Ärzte der Welt diese Erfahrung, um die Situation für Betroffene geschlechtsspezifischer Gewalt in Deutschland zu verbessen.

Michelle, vielen fällt beim Kennenlernen dein internationaler Nachname Kerndl-Özcan auf.

Meine Familiengeschichte ist tatsächlich sehr interkulturell. Meine Mutter kommt aus den USA, mein Vater aus Regensburg. Getroffen haben sie sich in München. Meinen Mann habe ich wiederum in Istanbul kennen gelernt, als ich dort ein Praktikum absolviert habe.

Ein Praktikum in Istanbul klingt interessant.

Ich bin in München-Pasing, nur wenige Minuten von der heutigen Ärzte der Welt-Geschäftsstelle, zur Schule gegangen. Nach dem Abitur habe ich in München und Regensburg Politikwissenschaft studiert. Da mich vor allem die Themen Konfliktprävention und Konfliktbewältigung im internationalen Kontext interessierten, habe ich anschließend in Marburg im Master Friedens- und Konfliktforschung studiert. Während des Studiums habe ich mich mit unterschiedlichen Facetten von Flucht und Migration beschäftigt– deshalb bin ich für ein Praktikum in die Türkei gegangen. Das war 2012, noch vor der großen „Flüchtlingskrise“. Aber auch damals war schon abzusehen, dass viele Geflüchtete aus Syrien, dem Iran und Afghanistan in die Türkei kommen werden und dass die Türkei eine immer wichtigere Rolle einnehmen wird.

Was hast Du während des Praktikums erlebt?

Mein Praktikum habe ich bei der Human Rights Foundation of Turkey in Istanbul absolviert, eine der größten unabhängigen Menschenrechtsorganisationen in der Türkei. Sie unterstützt Folteropfer, vor allem Kurden, aber auch vermehrt Geflüchtete aus dem Ausland. Ich habe an einem Konzept zur Integration von Geflüchteten in die Arbeitsbereiche der NGO mitgearbeitet. Hierfür habe ich unterschiedliche Einrichtungen für Geflüchtete besucht, etwa eine Unterkunft für unbegleitete Minderjährige. Was ich da gesehen habe, war wirklich erschreckend. Dort gab keinerlei sozialpädagogische Betreuung, die Jugendlichen waren komplett auf sich allein gestellt.

Immerhin gab es Ehrenamtliche, die ein paar Angebote wie Kunstprojekte oder Sprachkurse organisiert haben. Mir war vorher nicht bewusst, dass gerade junge Menschen in Istanbul sehr politisch und engagiert sind. Das wurde auch anhand der großen Teilnahme bei Demos sichtbar, die fast täglich stattfanden und schließlich in die Geziproteste mündeten. Leider hat sich die politische Lage in der Türkei seit den Geziprotesten 2013 und dem Putschversuch 2016 stark verändert, so dass sich heute kaum mehr jemand auf die Straße traut.

Du bist 2015 mit Deinem Mann  nach München gezogen. Wie ging es da für Dich beruflich weiter?

Ich habe zuerst bei einer von der hpkj e.V. betriebenen Erstaufnahmeeinrichtung für unbegleitete minderjährige Geflüchtete gearbeitet. Im selben Haus war auch der Sozialdienst katholischer Frauen (SkF), der eine Mädchengruppe betreute. Mir gefiel die Arbeit mit geflüchteten Mädchen sehr, deshalb bin ich zum SkF gewechselt. Dort konnte ich das Projekt „SkF Benefit – Beratung für geflüchtete Frauen“ mit umsetzen. Dieses Projekt haben wir dann von Null an aufgebaut, vom Namen bis zur Bedarfsanalyse ‒ ähnlich, wie ich das in dem jetzigen Projekt von Ärzte der Welt mache.

Wie bist Du zu Ärzte der Welt gekommen?

Es war leider von Anfang an nie sicher, ob Benefit ein Regelangebot werden kann oder irgendwann auslaufen muss. Mir war seit der Tätigkeit beim SkF klar, dass ich mich langfristig im Bereich Gendergerechtigkeit für Geflüchtete und Migrant*innen engagieren möchte.

Während meiner Elternzeit mit unserem zweiten Kind habe ich über einen Newsletter von der Stelle bei Ärzte der Welt erfahren. Es kam mir so vor, als wäre das direkt auf mich zugeschnitten! Das konzeptionelle Arbeiten reizt mich sehr und ich hoffe, dass ich durch Capacity Building und Öffentlichkeitsarbeit einen langfristigen Unterschied machen kann. Ich habe die Arbeit von Ärzte der Welt im Ankerzentrum Manching mitverfolgt und es gefällt mir, dass die NGO sich trauen kann, so politisch zu sein und Advocacy-Arbeit zu leisten.

Und jetzt bist Du hier! Wir werden Deine Arbeit und das „Reach out“-Projekt nochmal genauer vorstellen, aber zur ersten Information: Worum geht es in dem Projekt?

Es geht darum, den Zugang von Menschen, die geschlechtsbezogene Gewalt erfahren haben, zum Hilfesystem zu verbessern. Wir richten uns dabei an Fachkräfte und direkt an die Betroffenen.

Für die Fachkräfte werden wir Vernetzungstreffen und Schulungen zu unterschiedlichen Aspekten von geschlechtsbezogener Gewalt organisieren. Ziel ist, Fachkräfte zu sensibilisieren und besser miteinander zu vernetzen, so dass sie Klient*innen an Spezialist*innen für bestimme Themen weiterverweisen können.

Und wir richten uns an die Betroffenen von sexualisierter Gewalt. Das sind hauptsächlich Frauen, aber auch LGBTI*-Personen oder männliche unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Wir wollen Workshops zur Stärkung der betroffenen Frauen in Flüchtlingsunterkünften durchführen, etwa zum Thema Gewaltprävention und Rechte der Frau und ihnen aufzeigen, welche Möglichkeiten sie haben, wenn sie sich in einer akuten Gewaltsituation befinden.


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