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Die Referentin für Programmadministration Yuliia Pidko hat die Entwicklung im Donbass in den vergangenen Jahren hautnah miterlebt. Foto: privat

„Ich bin immer noch dabei, hier wirklich anzukommen“

„Ich bin immer noch dabei, hier wirklich anzukommen“

 

Yuliia Pidko hat die Entwicklung  in der Ostukraine in den vergangenen Jahren hautnah miterlebt. Im Interview erzählt unsere Referentin für Programmadministration, wie sich die politischen Veränderungen auch auf ihr eigenes Leben ausgewirkt haben.

Yuliia, Du stammst aus der Nähe von Donezk und hast nach Deinem Bachelor in Management dort in einer Bank gearbeitet. Später bist Du nach Kiew gezogen. Das war vor der russischen Annexion der Krim und des Donbass.

Nach Jahren im Bankwesen und in Donezk wollte ich etwas anderes ausprobieren. Ich hatte in einer kleinen Werbeagentur angefangen, die schnell wuchs. Als eine Niederlassung in Kiew eröffnet werden sollte, wurde ich damit betraut, das neue Büro zu aufzubauen und Mitarbeiter*innen einzustellen. Aber das Leben in Kiew fiel mir schwer. Man verbringt viel Zeit im dichten Stadtverkehr, und ich habe meine Familie und Verwandten sehr vermisst.

Und dann änderte sich alles ganz plötzlich...

Im November 2013 protestierten die Menschen auf dem Maidan, es war wie eine Revolution. Danach hatten wir eine Finanzkrise, und natürlich war die Werbebranche die erste, die zusammenbrach. Das Büro der Werbeagentur wurde geschlossen und ich ging zurück nach Hause. Dann begann bei uns im Osten des Landes der Krieg.  ich blieb mit meinen Eltern und meinem Bruder in der Oblast Donezk.

Wie habt Ihr die politische Situation wahrgenommen?

Zunächst haben wir es nicht für möglich gehalten, dass die Gebiete in den Oblasten Luhansk und Donezk besetzt werden würden. Wir sahen einige Leute in Uniformen, aber sie waren nicht einmal Militärs mit offiziellen Abzeichen. So haben wir versucht, weiter unser normales Leben zu führen.

Wie hat sich Euer Leben verändert?

Wir wohnten etwa 20 Kilometer außerhalb der Stadt. Es war schwierig, aber möglich, Donezk zu erreichen. Das Schlimmste für meine Familie war jedoch, dass meine Mutter, die schwer krank war, für ihre Behandlungen nach Donezk fahren musste. Jedes Mal musste sie für einen Arztbesuch diese Kontrollpunkte passieren. Zu dieser Zeit gab es bereits eine andere Währung, den russischen Rubel, im nicht regierungskontrollierten Gebiet, was zu vielen Problemen führte.

Hinzu kam die Bombardierung. Meine Heimatstadt wurde nicht bombardiert, aber wir hörten ständig den Granatenbeschuss um uns herum. Meine Heimatstadt liegt nur 20 Kilometer von der Kontaktlinie entfernt. Wir hatten viele Probleme mit dem Internet, mit Wasser, vor allem mit Trinkwasser, mit logistischen Dingen wie dem Transport und dem Abheben von Bargeld. Das war in den Jahren 2015-2016.

Dennoch bin ich immer geblieben, weil ich mich um meine Eltern kümmern musste. Das war auch eine gute Gelegenheit für mich, bei einer NGO zu anzufangen und den Menschen zu helfen.

Wie hast Du Ärzte der Welt kennengelernt?

Wir hatten schon viel von Ärzte der Welt gehört, weil die Organisation damals im Gebiet Luhansk in Sieverdonezk tätig war. Dann sah ich im Juli 2019 die Stellenausschreibung für die Projektadministration in Bakhmut im Gebiet Donezk (in dem vom ukrainischen Staat kontrollierten Gebiet). Als das Büro meiner NGO im September schloss, war ich froh, dass die Position bei Ärzte der Welt noch frei war - also bewarb ich mich, bekam die Stelle und zog nach Bakhmut.

Leider verschlechterte sich die politische Lage weiter.

Es war ein Schock für uns, als wir vor Monaten die Nachricht im Fernsehen sahen, dass Russland eine militärische Operation vorbereiten würde. Wir gingen davon aus, dass dies nicht stimmen könne. Es gab sogar einige Witze darüber, denn in Donezk hatten wir schon so oft gehört, dass "in den nächsten Monaten etwas passieren könnte", dass wir es einfach nicht mehr glauben wollten.

Damals hast Du noch für Ärzte der Welt in der Ukraine gearbeitet, aber es war schon geplant, dass Du perspektivisch zu Ärzte der Welt Deutschland wechseln würden.

Die letzten Jahre war ich nur noch in der Ukraine, weil ich mich um meine Eltern kümmern musste. In der Zwischenzeit hatte sich meine Situation geändert, und ich wollte etwas Neues im Ausland ausprobieren. Als der Krieg Ende Februar begann, wurden wir Ärzte der Welt-Mitarbeiter*innen zunächst nach Izum und dann nach Dnipro evakuiert.

Zu diesem Zeitpunkt habe ich beschlossen, nach Deutschland zu gehen. Alle meine Verwandten sind im Gebiet Donezk und ich konnte nicht dorthin zurück. Außerdem hatte ich bereits die Zusage für die Stelle in Deutschland. So bin ich schließlich nach München gekommen.

Nun bist Du bei Ärzte der Welt Deutschland Referentin für Programmadministration, kümmerst Dich um die Finanzierung und um die finanzielle Berichterstattung der Projekte. Wie beschreibst Du Deine jetzige Situation?

In meiner neuen Stelle habe ich mehr Verantwortung und arbeite an neuen Themen wie der Projekt-Budgetierung. Es gefällt mir sehr gut und ich erweitere meine beruflichen Fähigkeiten. Ich fühle mich von meinen Münchner Kolleginnen und Kollegen in dieser schwierigen Situation sehr unterstützt, aber natürlich mache ich mir große Sorgen um meine Verwandten und meine Familie zu Hause. Die Situation ist nicht einfach, und ich bin immer noch dabei, hier wirklich anzukommen.

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