Tag 1: Ankunft in Jijiga
Nach einem kurzen Flug von der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba komme ich in Jijiga an, der größten Stadt der Somaliregion. Die breite, hell beleuchtete Hauptstraße führt mitten durch das Zentrum Jijigas. Der Verkehr ist dominiert von den blauen, dreiräderigen Bajaj-Motorradtaxis, die überall herumflitzen.
Am nächsten Tag wollen wir das von Ärzte der Welt unterstützte Gesundheitszentrum im Woreda Sagag besuchen. Woreda nennt man die äthiopischen Verwaltungsdistrikte, die aus mehreren Dörfern oder Nachbarschaften bestehen.
Tag 2: Sagag
Bevor wir uns nach Sagag aufmachen, gibt Projektkoordinator Shephard Chishaka noch einige Sicherheitshinweise und erklärt Wissenswertes zu den Gegebenheiten in der Gegend.
„Es ist eine sehr interessante Region, die abwechselnd von Dürre und Flut heimgesucht wird“, erklärt er. Das ist besonders dramatisch, weil laut Shepard Chishaka 85 Prozent der Menschen in der Somaliregion Pastoralist*innen sind. Als Halbnomaden bestreiten ihren Lebensunterhalt durch Viehzucht und wechseln regelmäßig ihren Standort, um neue Weidegründe zu finden. Dies wird zunehmen schwieriger, denn durch die Erderhitzung werden die klimatischen Bedingungen immer extremer. Viele Menschen haben schon heute nicht genug zu essen. Und es besteht die Gefahr Krankheiten zu bekommen, die durch verschmutztes Wasser und aus dem Wassermangel resultierende Hygieneprobleme verursacht werden. Auch in den von Ärzte der Welt unterstützen Gesundheitseinrichtungen gibt es kein fließendes Wasser. Es muss aus bis zu 100 Kilometern Entfernung mit Lastwagen herangeschafft werden.
„Wir sind stolz darauf, dass wir die abgelegensten Gemeinden erreichen und es motiviert uns zu sehen, dass wir einen positiven Impact haben“, sagt Shepard Chishaka.
Aktuell unterstützt Ärzte der Welt fünf Gesundheitsstationen in abgelegenen Gebieten der Somaliregion und steht dort als einzige NGO den Menschen bei.
Die Fahrt nach Sagag führt zunächst über eine asphaltierte Straße, gesäumt von zahlreichen für die Region typischen traditionellen Häusern. Die kuppelförmigen Konstruktionen aus Ästen und Seilen sind mit bunten Planen und Stoffen bedeckt. „Die Frauen sind dafür zuständig, die Häuser zu bauen“, erklärt der Projektmanager Mowlid Mohammed, der selbst aus der Somaliregion stammt. Sie sind nicht dafür gebaut, ewig zu halten, sondern werden etwa einmal im Jahr erneuert, erklärt er. Die ideale Bauweise für die halbnomadischen Familien.

Ungefähr eine Stunde von unserem Ziel entfernt, hört die asphaltierte Straße auf. Obwohl es nur kurz geregnet hat, haben sich in den Schlaglöchern große Pfützen gebildet. Der Fahrer Mohammed Abdirahman muss einige Manöver fahren, damit der Wagen nicht stecken bleibt.
Nach rund vier Stunden Fahrtzeit kommen wir in der Gesundheitsstation an, wo wir von der Ärzte der Welt-Hebamme Fatuma Ahmed begrüßt werden.

Durchschnittlich 20 Frauen bringen monatlich dort ihre Kinder zur Welt. Die meisten haben keine Vorsorgeuntersuchungen erhalten, denn für viele ist der Weg in das Gesundheitszentrum zu weit. Sie leben bis zu rund 100 Kilometer entfernt, was oft eine schier unüberbrückbare Distanz darstellt. Sogenannte Gesundheitshelfer*innen haben in den Gemeinden viel dafür geworben, dass die Frauen in die Zentren kommen, anstatt eine Geburt zu Hause zu riskieren. Die Mühe hat sich ausgezahlt. Jetzt wird das Angebot gerne angenommen und die Frauen können bei Bedarf mit dem Krankenwagen abgeholt werden. Um werdende Mütter zusätzlich zu motivieren, bekommen sie ein sogenanntes Mama-Kit mit essenziellen Dingen wie Öl zum Kochen, Zucker, Salz, Milch und eine Decke. Der Inhalt der Mama-Kits wurde nach Rücksprache mit den Müttern zusammengestellt, um sicher zu gehen, dass es ihnen zumindest in der ersten Zeit nach der Geburt möglichst an nichts fehlt.

Fatuma Ahmed stellt uns einer Frau vor, die ihre Geburt ohne den Einsatz der Hebamme vielleicht nicht überlebt hätte. Sie litt unter Schwangerschaftsbluthochdruck und das Baby lag verkehrtherum im Bauch. Ubah Dahir ist glücklich, dass sie sich dafür entschieden hat, ihr Kind im Gesundheitszentrum zur Welt zu bringen, und dass es gesund ist. „Hier ist es sicherer. Jetzt geht es mir und dem Baby gut. Ich habe mich noch nicht für einen Namen entschieden.“


Als nächstes besuchen wir den Teil der Gesundheitsstation, in dem Kinder unter fünf Jahren behandelt werden. Jedes Kind wird auch auf seinen Ernährungszustand untersucht. Bei dem einjährigen Kader Mohammed kann man aber auch ohne medizinische Expertise auf den ersten Blick erkennen, dass das Kind stark unterernährt ist. Das bestätigt der behandelnde Arzt Dr. Semanchew Shete.
„Der Kleine war akut unterernährt und ich hätte ihm gern eine leicht verdauliche Spezialmilch verabreicht“, berichtet er. Doch diese sei in ganz Äthiopien kaum noch erhältlich, seit die amerikanische Behörde für Entwicklungszusammenarbeit, USAID, ihre Hilfen abrupt gestoppt hat. Um das Schlimmste zu verhindern, konnte Ärzte der Welt eine energiereiche Paste aus Erdnüssen als therapeutische Fertignahrung zur Verfügung stellen.
Es ist ein erschreckender Einblick in die ganz konkreten Konsequenzen, die Kürzungen von Hilfsgeldern – auch die der Bundesregierung – haben.
Tag 3: Besuch in Degehamedo
Nachdem wir die Nacht in einem örtlichen Hostel verbracht haben, besuchen wir die Gesundheitsstation von Degehamedo.
Dort ist unsere Hebamme Sarah Ibrahim gerade dabei, die schwangere Patientin Halima Arab mit dem von Ärzte der Welt gespendete Ultraschallgerät zu untersuchen.

Halima Arab hat in der Vergangenheit ihre Kinder zu Hause zur Welt gebracht, aber bevorzugt nun die Gesundheitsstation: „Das ist sicherer für mich und das Baby.“ Als die Untersuchung zeigt, dass alles in Ordnung ist, ist Halima Arab erleichtert.

Der junge Geschäftsführer der Gesundheitsstation, Mohammed Abdi-Ahmed, kennt die Region und die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung genau, denn er ist hier in einer Nomadenfamilie aufgewachsen. Es ist beeindruckend, wie er in seinem jungen Alter die Gesundheitsstation mit einem Einzugsgebiet von bis zu 90.000 Menschen und so vielen Herausforderungen erfolgreich leitet. „Ich bin sehr glücklich über die Zusammenarbeit mit Ärzte der Welt. Sie stellen unter anderem Benzin für den Krankenwagen, wichtige Dinge für die Mütter und Babys und alle notwendigen Medikamente zur Verfügung. Und besonders wichtig sind natürlich die Hebammen.“
Auf dem Rückweg nach Jijiga denke ich über die vielen Einblicke und Geschichten nach, die ich in den ersten Tagen meiner Reise gesammelt habe. Regelmäßig wird unsere Fahrt unterbrochen durch Begegnungen mit der örtlichen Tierwelt. Immer wieder muss unser Fahrer Mohammed warten bis die unzähligen Kamel-, Schafs- und Ziegenherden die Straße überquert haben. Einmal hält er an, um eine Schildkröte zur retten, die es sich auf der Fahrbahn gemütlich gemacht hat. Am Ende leistet uns noch eine Pavianfamilie Gesellschaft, die in der Nähe von Jijiga residiert.
Tag 4: Jijiga
Am Sonntag kann sich das Team ein wenig von den Anstrengungen der vergangenen Tage erholen. Projektkoordinator Shephard Chishaka und ich treffen uns mit dem Journalisten Ulrich Hagmann und dem Kameramann Sorin Dragoi. Sie sind nach Jijiga gekommen, um einen Fernsehbeitrag für den BR-Sternstunden-Adventskalender über das Ärzte der Welt-Projekt in der Somaliregion zu filmen.
Am kommenden Tag wollen wir mit ihnen in das etwa 65 Kilometer entfernte Vertriebenenlager Qoloji fahren, wo Ärzte der Welt medizinische und psychologische Versorgung vor allem für Frauen und Kinder anbietet.

Qoloji ist das größte Vertriebenenlager in Äthiopien. Über 100.000 Menschen leben hier auf engem Raum. Die meisten von ihnen sind aus der Nachbarregion Oromia geflohen. Um Land konkurrierenden Bevölkerungsgruppen tragen dort bewaffnete Konflikte aus. Obwohl das Camp bereits über zehn Jahre existiert, sind die Lebensbedingungen schlecht. Die Unterkünfte schützen nicht genug vor Hitze, Kälte und Regen. Die Menschen haben keine Möglichkeit, Vieh zu halten oder Landwirtschaft zu betreiben, um sich ausreichend zu ernähren und sind von Lebensmittelhilfen abhängig. Diese reichen jedoch oft nicht aus. Umso wichtiger ist es, dass die Bewohner*innen von Ärzte der Welt wenigstens eine gesundheitliche Grundversorgung bekommen können.
Tag 5: Qoloji

Aufgrund seiner Größe wirkt das Qoloji Camp von weitem eher wie eine kleine Stadt als wie ein Vertriebenenlager. Neben den traditionellen temporären Häusern stehen dort auch Gebäude, die für einen etwas längeren Zeitraum erbaut zu sein scheinen. Auf den zweiten Blick wird deutlich, dass Qoloji sich eigentlich nicht dafür eignet, dort länger zu leben. Es wirkt überfüllt, die Unterkünfte stehen dicht an dicht. Die engen Wege dazwischen sind holprig. Es gibt wenige sanitäre Anlagen und Waschmöglichkeiten.

Zuerst besuchen wir eine Gruppensitzung für schwangere Frauen, die von unserer Hebamme in Qoloji, Fartune Alinajib, geleitet wird. Sie erklärt, auf welche Alarmzeichen man während der Schwangerschaft achten muss. Sollten zum Beispiel Blutungen, Bauchschmerzen oder Wasserablagerungen in den Beinen auftreten, empfiehlt Fartune, sich im Ärzte der Welt-Gesundheitszentrum untersuchen zu lassen. Nach ihrem Vortrag können die Teilnehmerinnen Fragen stellen und sich über ihre Erfahrungen austauschen.
Im ersten Halbjahr des Jahres haben durchschnittlich etwa 50 Frauen im Monat ihre Kinder im Ärzte der Welt-Gesundheitszentrum in Qoloji zur Welt gebracht. Dass so viele Frauen ihren Weg in das Zentrum gefunden haben, ist auch Menschen wie Fatuma Moussa zu verdanken. Fatuma ist selbst durch die Gewalt in der Region Oromia vertrieben worden. Sie ist traditionelle Geburtsbegleiterin, hat also Hausgeburten unterstützt. Dabei hat sie viele Komplikationen gesehen, berichtet sie. Sie hat eine Fortbildung von Ärzte der Welt erhalten, um die Frauen ihrer Community zum Thema sichere Geburt zu informieren. „Heute rate ich jeder Frau dazu, ihr Kind in der Gesundheitsstation zur Welt zu bringen“, sagt sie.

Das Fernseh-Team dokumentiert den Alltag einer jungen Mutter, deren Schwangerschaft mit Unterstützung von Ärzte der Welt gut verlaufen ist. Außerdem filmen sie, wie ein Kind auf seinen Ernährungszustand untersucht wird. Auch in Qoloji bemüht sich Ärzte der Welt nach Kräften, dafür zu sorgen, dass stark unter- und mangelernährte Kinder die lebensnotwendige Versorgung erhalten. Auch hier sind die Konsequenzen der weltweiten Kürzungen staatlicher Hilfsgelder deutlich zu spüren.

Warum es auch und besonders dort, wo es an allem fehlt, wichtig ist, auf die psychische Gesundheit der Menschen zu achten, erklärt mir der Ärzte der Welt-Kollege Mustafa Edle. Er führt regelmäßig Veranstaltungen im Camp durch, die das Ziel haben, die mentale Gesundheit von Kindern zu stärken: „Wenn Menschen vertrieben werden, leiden sie häufig unter Ängsten und posttraumatischen Belastungsstörungen. Zu einer umfassenden Gesundheitsversorgung gehört psychologische Versorgung einfach dazu.“
Tag 6 + 7: Jijiga / Addis Abeba
An seinem letzten Tag in Jijiga interviewt das BR-Team noch den Projektleiter Shephard Chishaka, filmt, wie die Ärzte der Welt-Kollegen den nächsten Einsatz in Qoloji vorbereiten, und macht einige Außenaufnahmen.

Am nächsten Morgen fliegen die Journalisten und ich gemeinsam in die Hauptstadt Addis Abeba. Vom Balkon des Ärzte der Welt-Büros aus mache ich noch ein Foto der nächtlichen Skyline, bevor ich tief beeindruckt von der Region und ihren Menschen die lange Rückreise nach Deutschland antrete.

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