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open.med Behandlungsbus in München. Foto: Ärzte der Welt

Projektarbeit im Inland - Unsere Prinzipien

Projektarbeit im Inland - Unsere Prinzipien

 

Trotz Versicherungspflicht haben in Deutschland viele Menschen keinen oder nur einen eingeschränkten Zugang zum Gesundheitssystem. In unseren Anlaufstellen und mobilen Projekten in Deutschland versorgen wir Menschen medizinisch und durch individuelle Sozialberatung. Wir folgen hierbei unseren definierten Prinzipien. Ebenso stellen wir konkrete Forderungen an die Politik.

Die Ausgangslage: Trotz Versicherungspflicht haben in Deutschland viele Menschen keinen oder nur einen eingeschränkten Zugang zum Gesundheitssystem. 2019 lebten offiziell 61.000 Menschen in Deutschland ohne Krankenversicherung (Statistisches Bundesamt). Die Dunkelziffer ist weitaus höher. Doch auch mit eingeschränkter oder voller Leistungsberechtigung gibt es für viele Menschen multiple Barrieren, die sie daran hindern, ihre Ansprüche im Regelsystem wahrnehmen zu können. Zielgruppe unserer Arbeit sind daher alle Menschen, die keinen oder eingeschränkten Zugang zu Gesundheitsversorgung haben. Dazu gehören Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus, Deutsche und EU-Bürger*innen ohne Krankenversicherung, Asylbewerber*innen und Menschen in prekären Lebenslagen (z.B. Wohnungslose oder Menschen mit Suchtproblematik).

Was wir tun:

In unseren niederschwelligen Anlaufstellen und mobilen Projekten in Deutschland versorgen wir diese  Menschen medizinisch und eröffnen ihnen in Kooperation mit Partner*innen durch individuelle Sozialberatung einen Zugang zu weiterführender fachärztlicher Versorgung, dem regulären Gesundheitssystem und zusätzlichen Unterstützungsangeboten. Ziel der Projekte ist langfristig die Integration aller Klient*innen in die medizinische Regelversorgung. Darüber hinaus informieren wir politische Entscheidungsträger*innen und die breite Öffentlichkeit über die bestehenden Missstände und setzen uns für strukturelle und nachhaltige Lösungsansätze ein.

Unsere Prinzipien

Ärzte der Welt sieht sich als humanitäre medizinische Hilfsorganisation dem Wert verpflichtet, alle Menschen medizinisch zu versorgen, die keinen oder einen erschwerten Zugang zu Gesundheitsversorgung haben.

Wir versorgen Menschen unabhängig von Geschlecht, sexueller Orientierung, Alter, Behinderung, Herkunft, Ethnizität, Religion, Weltanschauung, Aufenthaltsstatus oder politischer Überzeugung. Wir dulden in unseren Räumlichkeiten keine Gewalt und keine sexistischen, homophoben, rassistischen oder in anderer Weise diskriminierenden Äußerungen.

Gesundheit ist ein Menschenrecht. Jeder Mensch hat laut Artikel 25 der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen „Anspruch auf eine Lebenshaltung, die seine und seiner Familie Gesundheit und Wohlbefinden einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztlicher Betreuung und der notwendigen Leistungen der sozialen Fürsorge gewährleistet“ Zudem hat jeder Mensch laut UN-Sozialpakt das Recht auf das „höchste erreichbare Maß an körperlicher und geistiger Gesundheit.“ Dies beinhaltet auch den Zugang zu  adäquater, erschwinglicher und qualitativ hochwertiger Gesundheitsversorgung. In der Charta der Grundrechte der EU heißt es zudem „Jede Person hat das Recht auf Zugang zur Gesundheitsvorsorge und auf ärztliche Versorgung nach Maßgabe der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten. Bei der Festlegung und Durchführung aller Politiken und Maßnahmen der Union wird ein hohes Gesundheitsschutzniveau sichergestellt.“ (Art. 35). Ärzte der Welt unterstützt Menschen darin, diese Rechte wahrzunehmen und durchzusetzen. Durchgehend berücksichtigen wir bei unserer Arbeit auch die sozialen Determinanten von Gesundheit wie Einkommen, Bildung oder Wohnsituation.

Staaten haben die Pflicht, das Menschenrecht auf Gesundheit zu achten, zu schützen und zu gewährleisten. Wir schließen Lücken in der Versorgung, wo der Staat dieser Verantwortung nicht gerecht wird. Wir verfolgen das Ziel, dass unsere Arbeit nicht dauerhaft nötig ist. Wir sind weder kostengünstige Alternative noch Dienstleister eines öffentlich medizinischen Versorgungskonzepts. Daher übernehmen wir keine dauerhaften oder weisungsgebundenen Aufträge von öffentlichen Stellen.  Wir setzen uns praktisch und politisch für eine Versorgung aller Menschen im Regelsystem ein.

Unsere Klient*innen sehen wir als Individuen und Träger*innen von Rechten. Im Rahmen unserer Sozialberatung unterstützen und befähigen wir sie, die Barrieren zur Verwirklichung ihrer Ansprüche und Rechte zu überwinden. Gemeinsam mit unseren Klient*innen verfolgen wir das Ziel einer (Re)Integration ins Regelsystem. Wir begegnen unseren Klient*innen stets mit Respekt und Empathie. Ihr gesundheitliches Wohl hat oberste Priorität bei unseren Entscheidungen und Handlungen. Wir beziehen unsere Klient*innen in die Bedarfserhebung und die Ausrichtung der Projekte ein.

Wir gewährleisten auf Wunsch die Anonymität der Behandlung und Beratung und veröffentlichen  Informationen über die Klient*innen nur mit informierter Zustimmung und in anonymisierter Form.

Durch die Darstellung von Patient*innengeschichten und über Presse- und Kampagnenarbeit machen wir die breite Öffentlichkeit und politische Entscheidungsträger*-innen auf ihre Situation und bestehende Missstände aufmerksam.

Ärzte der Welt verbindet die Projektarbeit mit politischen Forderungen nach strukturellen und nachhaltigen Lösungen. Im Rahmen der Advocacyarbeit machen wir auf die Probleme unserer Zielgruppen aufmerksam und fordern konkrete gesetzliche Veränderungen und ihre konsequente Implementierung zur Durchsetzung des Menschenrechts auf Gesundheit.

Unsere Forderungen

Wir fordern, dass alle in Deutschland lebenden Menschen Zugang zu qualitativ hochwertiger Gesundheitsversorgung ohne dadurch in eine finanzielle Notlage zu geraten..

Wir setzen uns für gesetzliche Reformen ein, um die Situation strukturell und nachhaltig zu verbessern. Kurzfristig sind bis zu ihrer Durchsetzung komplementär Maßnahmen innerhalb des bestehenden Systems notwendig, um den Zugang zu Gesundheitsversorgung zu verbessern.

Dringende Maßnahmen innerhalb der derzeitigen gesetzlichen Regelungen

  • Von allen Institutionen des Gesundheitswesens:
    • Diversitätsorientierte Öffnung des Gesundheitswesens (u.a. Förderung von diversitätsorientierter Kompetenz von medizinischem und  Beratungspersonal, Antirassismus-/ Antidiskriminierungstrainings, Bereitstellung und Finanzierung von Dolmetscher*innen).
    • Abbau von verwaltungstechnischen Hürden und Aufbau einer besseren Kommunikation zwischen Leistungsträgern zur Gewährleistung einer lückenlosen Versorgung von Menschen (etwa zwischen AsylbLG und SGB II; zw. SGB II Antragstellung und Leistungsbescheid etc.).
    • Bereitstellung von angepassten  Informationen für alle Betroffenen (z.B. Patient*inneninformation in einfacher Sprache; Information und Schulungen für Praxis-/Krankenhauspersonal zu Möglichkeiten der Reintegration ihrer Patient*innen ins Regelsystem).
  • Von den Kommunen:
    • Abbau von Barrieren und ausreichende Bereitstellung von kommunal geförderten niederschwelligen Angeboten zur medizinischen Versorgung von Menschen in prekären Lebenslagen (Wohnungslose, Menschen mit Suchterkrankungen).
    • Einrichtung von Clearingstellen, um Möglichkeiten der Integration ins Regelsystem zu ermitteln.
    • Einführung eines anonymisierten Krankenscheins für Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus.
    • Ausreichende Bereitstellung und Finanzierung von Sprachmittler*innen.
    • Vereinfachung und Standardisierung des Abrechnungsverfahrens von Krankenhäusern nach einer Notfallbehandlung bei Sozialämtern, Informationen für Klinikpersonal zu bestehenden Regelungen, insbesondere Nothelferparagraph und Schweigepflicht.

Gesetzesänderungen auf Bundesebene

  • Gesetzliche Änderungen im Rahmen des Krankenversichertenentlastungsgesetzes (SGB V §188, 191, 323) zurücknehmen, um ein Fortbestehen der gesetzlichen Krankenversicherung auch für Versicherte mit Beitragsschulden sicherzustellen.
  • Gesetzliche Möglichkeiten schaffen, dassr Menschen ohne Krankenversicherungsschutz oder mit Beitragsrückständen durch Erlass/Reduzierung der Beitragsschulden wieder in die reguläre Krankenversicherung aufgenommen werden.
  • Für Asylbewerber*innen, Geduldete, Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus: Abschaffung der Einschränkungen (§§4 und 6) im Asylbewerberleistungsgesetz; Leistungsumfang entsprechend dem der Gesetzlichen Krankenversicherung.
  • Für Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus: Ausnahme aller an der Gesundheitsversorgung beteiligten Institutionen von der Übermittlungspflicht nach § 87 Aufenthaltsgesetz.
  • Für EU-Bürger*innen: Umsetzung des Gleichbehandlungsprinzips der EU durch die Bundesregierung auch für den Zugang zu Gesundheitsversorgung, d.h. gesetzliche Gleichstellung von Unionsbürger*innen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung, unabhängig von ihrem Versicherungsstatus und den Versorgungsstrukturen im Herkunftsland.

Unsere politischen Forderungen machen wir in unseren Anträgen an staatliche und nichtstaatliche Geldgeber*innen, in der Umsetzung der Projekte, bei der Einwerbung von privaten Spenden und in der Öffentlichkeitsarbeit durchgehend transparent.