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„Sie können sich die Situation nicht vorstellen.“

„Sie können sich die Situation nicht vorstellen.“

 

Die Katastrophe kam mit voller Wucht: Durch starke Regenfälle wurde in kürzester Zeit fast ein Drittel Pakistans überflutet, Hunderte Menschen starben. Die Ärzte der Welt-Landeskoordinatorin für Pakistan Wafa’a Al Saidy berichtet über die aktuelle Situation, Herausforderungen und Erfolgsgeschichten.
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Durch enorme Regengüsse wurden Ende August in Pakistan große Teile des Landes überflutet und Menschen zur Flucht gezwungen. Wie ist die Lage jetzt, etwa einen Monat später?

Es gibt riesige Gebiete, in denen alles überschwemmt und weggespült worden ist. Manche Regionen stehen immer noch buchstäblich unter Wasser, wie etwa Süd-Punjab. Die Bevölkerung musste vor den Fluten fliehen, und der humanitäre Bedarf in Gegenden mit vielen Schutzsuchenden ist enorm. Das gilt auch für Gebiete, in die die Menschen zurückkehren. Tausende haben alles verloren. Viele haben Angst, in Gebäuden zu schlafen, denn es ist vorgekommen, dass Häuser über Menschen eingestürzt sind.

Worauf konzentrieren sich unsere Teams im Moment?

Ärzte der Welt arbeitet schon seit Jahren in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa im Nordwesten des Landes. Diese Gegend hat die meisten afghanischen Geflüchteten aufgenommen. Nach den Überflutungen haben wir in den am stärksten betroffenen Gebieten in Khyber Pakhtunkhwa sofort gehandelt und auf die neue Situation effizient reagiert.

Derzeit arbeiten wir dort  in 13 Gesundheitseinrichtungen in Gemeinden mit afghanischen Geflüchteten. Einige von ihnen sind von den Überschwemmungen betroffen, so dass wir die  medizinischen Versorgungsangebote derÄrzte der Welt-Teams beibehalten. Wir haben auch drei mobile Teams, die sich derzeit in zwei Distrikten den Betroffenen der Flutkatastrophe widmen. Unsere Teams bieten ihnen medizinische Dienstleistungen, Medikamente, Schwangerschaftsvor- und nachsorge sowie pädiatrische Versorgung an.

Wir arbeiten auch in bestehenden Gesundheitseinrichtungen. Sie können sich die Situation dort nicht vorstellen: Alles ist weggespült worden. Es ist nichts mehr übrig. Der Wasserstand war nicht nur ein paar Handbreit hoch, sondern bis zu eineinhalb Metern. Ich erinnere mich, dass unser Team in die Gesundheitseinrichtung ging, um dort ein Versorgungsangebot zu starten. Wir brachten dafür unseren eigenen Generator mit. Aber als wir ihn einschalteten, funktionierte er nicht. Das Wasser steht immer noch überall in den Rohren, in den Wänden. Dies ist ein Beispiel dafür, dass es auch in den Gesundheitseinrichtungen, in denen das Wasser bereits versickert ist, noch viel zu tun gibt.

Was sind die größten Herausforderungen für humanitären Helfer*innen und die Ärzte der Welt-Teams?

Der Bedarf ist riesig und unsere Kapazitäten begrenzt. Die Situation für die Bevölkerung war schon vorher nicht gut. Pakistan befand sich in einer Wirtschaftskrise, die vor allem arme Menschen, afghanische Geflüchtete und andere benachteiligte Bevölkerungsgruppen traf.

Jetzt besteht eine der Herausforderungen darin, dass Patient*innen mit medizinischen Problemen in einem fortgeschrittenen Stadium zu uns kommen. In Notsituationen ändert sich das Verhalten der Menschen. Zum Beispiel bringen Eltern ihr Kind nicht mehr zu Beginn einer Krankheit, etwa in den ersten Tagen des Fiebers. Sie warten ab. Nicht weil sie schlechte Eltern sind, sondern weil sie andere Sorgen haben. Wo bekommen wir unsere nächste Mahlzeit her? Wo können wir heute Nacht schlafen? Was können wir tun, um unser Leben wieder aufzubauen? Folglich nehmen wir unsere Patient*innen in einem viel schlechteren Zustand auf als früher.

Generell haben wir also logistische und infrastrukturelle Probleme in den Gesundheitseinrichtungen, aber wir arbeiten mit der Regierung Hand in Hand daran, diese zu verbessern. Wir müssen die Strukturen wieder aufbauen, um ein Umfeld zu schaffen, in dem nicht nur medizinische Versorgung, sondern auch Gesundheitserziehung  und -information angeboten werden kann. Und durch Triage - also die Priorisierung von Behandlungen je nach Schwere der Erkrankung -  wollen wir sicherstellen, dass wir die kritischsten Fälle nicht übersehen.

Was wird jetzt am dringendsten gebraucht?

Der unmittelbare Verlust an Menschenleben war geringer als bei der letzten großen Flut 2010, obwohl die aktuellen Überschwemmungen größer waren als damals. Das lag an einigen Maßnahmen, die die Regierung getroffen hatte, aber auch daran, dass die Menschen jetzt über Kommunikationsmittel wie Messenger-Apps verfügen. Viele Menschen konnten informiert werden und die gefährdeten Gebiete verlassen, bevor die Flut kam.

Aus gesundheitlicher Sicht sind wir jedoch besorgt, weil sich jetzt Dengue-Fieber und Malaria ausbreiten. Außerdem gibt es durch Wasser übertragene Krankheiten wie akute wässrige Diarrhöe und die weit verbreitete Krätze. Und wir haben ein Problem mit der unsicheren Ernährungslage. Tausende von Hektar wurden überflutet, die Preise für Lebensmittel sind gestiegen, ebenso wie die für Medikamente und die meisten anderen Dinge.

Unsere größte Sorge ist daher, dass es in den nächsten Monaten zu einem massiven Verlust von Menschenleben durch unkontrollierbare Krankheitsausbrüche oder durch Unterernährung kommen könnte. Wir machen uns auch Sorgen um schwangere Frauen, die ihr Kind erwarten während das Gesundheitssystem noch völlig überlastet ist.

Und was ist auf lange Sicht nötig?

Wir wollen, dass die Menschen langfristig Zugang zu medizinischer Versorgung haben, aber dafür brauchen wir dringend finanzielle Mittel. Gleichzeitig brauchen wir auch mehr Partner für die operativen Maßnahmen und Aktivitäten.

Und wir müssen viele Präventivmaßnahmen ergreifen. Viele der übertragbaren Infektionen sind vermeidbar. Wenn wir aber keine Aufklärungsmaßnahmen und Gesundheitserziehung anbieten und uns stattdessen nur auf Medikamente und medizinische Versorgung konzentrieren, verpassen wir viel, weil wir nicht mit den Gemeinden und den Menschen zusammenarbeiten.

Und, was ebenso wichtig ist: Als humanitäre Organisation müssen wir uns auch auf die psychosoziale Unterstützung von Patient*innen konzentrieren, die durch diese Ereignisse traumatisiert worden sind.

Gibt es ein Beispiel, das zeigt, was Ärzte der Welt bereits leisten konnte?

Natürlich gibt es Hunderte solcher Fälle, denen wir helfen konnten. Jedes Kind, das wir versorgen und auf Unterernährung untersuchen können, ist ein Erfolg. Und es ist schon ein Erfolg, wenn man überhaupt eine grundlegenden Gesundheitsversorgung ermöglichen kann.

Ich habe in einer Gesundheitseinrichtung für afghanische Flüchtlinge mit einer jungen Frau gesprochen. Sie war schwanger, hatte bereits zwei oder drei Kinder und war zur Schwangerschaftsvorsorge im Gesundheitszentrum. Es war ihr vierter Besuch. Ich war so froh, diese Frau zu sehen, dass sie Vertrauen in die Klinik hat und dass sie trotz der Überschwemmungen, zur Vorsorge kommt. Für mich ist das wirklich eine Erfolgsgeschichte. Es ist diese kontinuierliche Betreuung, auf die wir uns konzentrieren wollen. Das hilft uns auch dabei, keinen der dringenden Fälle zu übersehen.

Wafa'a Al Saidy ist die Ärzte der Welt-Landeskoordinatorin für Pakstian. Foto: Ärzte der Welt
Wafa'a Al Saidy ist die Ärzte der Welt-Landeskoordinatorin für Pakstian. Foto: Ärzte der Welt

 

 

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