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Der Ärzte der Welt Generalkoordinator Waqas Ahmed

„Es wird noch mehr katastrophale Nachrichten aus dem Jemen geben.“

„Es wird noch mehr katastrophale Nachrichten aus dem Jemen geben.“

 

Durch die zahlreichen Krisen, die die Welt aktuell beschäftigen, ist der Krieg im Jemen in den Hintergrund geraten - sowohl in den Medien als auch was die dringend benötigten Spendengelder angeht. Im Interview berichtet unser Generalkoordinator Waqas Ahmed über die Lage im Land.

Der Waffenstillstand im Jemen hält nun schon seit mehreren Monaten an. Hat sich die Situation dadurch verbessert?

Trotz des Waffenstillstands bleibt die Inflation sehr hoch. Die meisten Jemenit*innen können sich nicht einmal einen Laib Brot pro Tag leisten. 19 Millionen Menschen sind auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen, das sind etwa zwei Drittel der Bevölkerung. Aber wenn ich mich in Sana'a umsehe, sehe ich zumindest keine langen Schlangen mehr von Menschen, die für Benzin anstehen. Und bestimmte Gebiete, in die Hilfsorganisationen bisher nicht fahren konnten, werden jetzt zugänglich, vor allem im Norden des Landes.

Wie ist die aktuelle Sicherheitslage?

Im April musste der bisherige Präsident Hadi zurücktreten, und es wurde ein neuer Präsidialer Führungsrat (PLC) eingesetzt. Dieser Wechsel der Regierungsführung hat sich auf die Sicherheit im Süden ausgewirkt. Die Zahl der Morde, Autodiebstähle, Entführungen und Bombenanschläge hat zugenommen. Nichtstaatliche Akteure wie Al-Qaida nutzen die Situation aus.

Wie hat sich dies auf die Arbeit der Ärzte der Welt-Teams ausgewirkt?

Von den 15 Gesundheitseinrichtungen, die Ärzte der Welt im Süden unterstützt, ist der Zugang zu vier Gesundheitseinrichtungen im Gouvernement Abyan nach wie vor nur sporadisch möglich. Auch die Bewegungsfreiheit des weiblichen Personals ist eingeschränkt. Kürzlich kursierte in der Bevölkerung und in den sozialen Medien eine gegen NGOs gerichtete Desinformationskampagne, in der fälschlicherweise behauptet wurde, NGOs würden die jemenitische Gesellschaft korrumpieren, indem sie Männer und Frauen miteinander mischen. Daher mussten wir unsere Mitarbeiterinnen bitten, aus Sicherheitsgründen eine Zeit lang von zu Hause aus zu arbeiten.

Welches sind die derzeitigen Hauptaktivitäten?

Wir führen unsere Maßnahmen im Jemen nicht direkt durch, sondern wir unterstützen das Personal des Gesundheitsministeriums, indem wir einen Teil des Gehalts zahlen. Außerdem bieten wir Schulungen zu Monitoring und zum Capacity Building an. Unsere medizinischen Supervisoren besuchen regelmäßig die von uns unterstützten Gesundheitseinrichtungen, um die Aktivitäten zu begleiten und zu beaufsichtigen. Dazu gehört auch psychologische Beratung. Wir stellen auch Medikamente zur Verfügung.

Daneben spenden wir Ausrüstungsgegenstände und führen kleinere Verbesserungen an den Gesundheitseinrichtungen durch – zum Beispiel verbessern wir den Wartebereich für die Patient*innen oder kümmern uns um einige Elektroarbeiten. Wir helfen auch, die Abfallentsorgung zu optimieren. ­­­

Gibt es auch Aktivitäten rund um Mangelernährung, die im Jemen ja weit verbreitet ist?

Die Gesundheitszentren, die wir unterstützen, führen auch Ernährungsmaßnahmen durch. Alle Kinder im Alter von 0-59 Monaten sowie schwangere und stillende Frauen werden auf ihren Ernährungszustand untersucht. Wenn eine Unterernährung festgestellt wird, werden sie an spezialisierte Dienste überwiesen. Für komplizierte Fälle gibt es spezielle Stabilisierungszentren.

Hat der Krieg  in der Ukraine einen Einfluss auf die Ernährungssituation der Menschen im Jemen?

Ja, denn über 40 Prozent der Weizenlieferungen in den Jemen kommen aus der Ukraine und Russland. Aber es gibt noch viele andere Gründe für die unsichere Ernährungslage. Neben dem Krieg in der Ukraine und natürlich den im Jemen selbst ist der größte Faktor die Kürzung der Mittel für die humanitäre Hilfe. In letzter Zeit haben vor allem die Ukraine und Afghanistan viel Aufmerksamkeit erhalten. Wir wollen nicht um die Finanzierung konkurrieren. Aber wir haben festgestellt, dass die Mittel für den Jemen stark gekürzt worden sind. Wir haben es hier mit einer langwierigen Krise zu tun, von der ungefähr 30 Millionen Menschen betroffen sind. Und wir sehen die Auswirkungen der rückläufigen finanziellen Unterstützung. So sind beispielsweise zwei Drittel der UN-Aktivitäten gestrichen oder reduziert worden.

Wie beeinflusst das unsere Arbeit?

Wir können keine Rundumversorgung anbieten. Wir wollten zum Beispiel die Ernährungskomponente ausbauen, um unterernährte Kinder zu behandeln. Aber wegen fehlender Mittel können wir das nicht. Und ein Ende des Konflikts ist nicht in Sicht, was bedeutet, dass die Menschen weiterhin humanitäre Hilfe benötigen. Ich bin sicher, dass es in den kommenden sechs Monaten noch viel mehr katastrophale Nachrichten aus dem Jemen geben wird, wenn die humanitäre Hilfe weiter reduziert wird. Wir sehen bereits jetzt, welche Auswirkungen die unsichere Ernährungslage hat. Denn die Menschen leiden immer noch und haben oft nicht einmal eine Mahlzeit pro Tag. Und auf der Geberkonferenz im März 2022 wurden nur 1,3 von 4,4 Milliarden Dollar an Hilfsgeldern zugesagt. Nur 60 Prozent der 3,85 Milliarden, die für den humanitären Reaktionsplan 2021 eigentlich benötigt wurden, sind bisher eingegangen.

Wir brauchen die Unterstützung unserer Geber mehr denn je. Denn mit jedem Jahr, das vergeht, wird das Ausmaß der humanitären Krise gefährlicher und katastrophaler.  

Der Krieg dauert nun schon seit acht Jahren an. Wie bewältigt die Bevölkerung eine so lange Krise physisch und psychisch?

Eine der Herausforderungen, mit denen wir konfrontiert sind, ist die psychische Gesundheit. Davon sind auch unsere eigenen Kolleg*innen betroffen. Viele haben Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren, da sie mit ihrem täglichen Leben zu kämpfen haben und sich um ihre Familien kümmern müssen. Die Kinder sind nicht in der Schule, es gibt keine funktionierende öffentliche Infrastruktur, kein funktionierendes Steuersystem. Alles, was die Regierung einnimmt, wird für den Krieg ausgegeben. Beamte haben seit 2018 keine Gehälter mehr erhalten. Die Menschen haben das Gefühl, dass der Krieg nie endet und sie nirgendwo hin können.

Was kann eine NGO wie Ärzte der Welt angesichts dieser massiven Herausforderungen überhaupt erreichen?

Was wir tun, wird von den Behörden und den Gemeinden selbst sehr geschätzt. Wir unterstützen über 260 Gesundheitsbeamte finanziell. Das bedeutet Unterstützung für 260 Familien. Und dann sind da noch die Menschen, die von den Gesundheitseinrichtungen profitieren, die wir unterstützen. Zurzeit erreichen wir mit unserer Arbeit rund 322.000 Menschen.

 

Unser Projekt wird vom Auswärtigen Amt und von Sternstunden unterstützt, dennoch sind wir auf Spenden angewiesen. Bitte unterstützen Sie uns.

Behandlung in einem von Ärzte der Welt unterstützten Gesundheitszentrum im Jemen
Behandlung in einem von Ärzte der Welt unterstützten Gesundheitszentrum im Jemen

 

 

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